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Oberrheinische Kunst — 4.1929/​1930

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Hugelshofer, Walter: Beitrag zum Werk des Sixt von Staufen
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https://doi.org/10.11588/diglit.53861#0058

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Walter Hugelshofer

bis 1524. Das Pestbild ist ein Relief kleineren Ausmaßes, dazu noch in viele Abteilungen unterteilt, so daß
die einzelnen Gestalten meist recht klein sind. Die Tafel ist farbig reich gefaßt. Dem Stil und den kostüm-
lichen Details zufolge ist eine Entstehung im zweiten Jahrzehnt wahrscheinlich. Es ist also auf Grund dieser
Verschiedenheiten nicht eine genaue Übereinstimmung zu erwarten, die überdies bei einem Meister von der
selbständigen Erfindungskraft und der lebendigen Entwicklungsfähigkeit des Locherer Meisters ohnedies nicht
anzunehmen wäre.
Am auffälligsten ist die Verwandtschaft der in ihrer Anlage ganz ähnlichen Gruppen der Knieenden
auf beiden Werken: gut beobachtete, gesunde, lebensstrotzende Bürgertypen mit allen charakteristischen Kenn-
zeichen erdennaher Realistik, knorrige, kernige Menschen mit ausdrucksreichen Gesichtern, individuell
gesehen und mit unmittelbarer Frische dargestellt; artikulierte Hände und genau durchgebildete, detailliert
wiedergegebene Gewänder. Auf dem Lyoner Werk sind ihre Stellungen und Bewegungen lebhafter, kompli-
zierter, auch unklarer und gewaltsamer, auf dem Freiburger beruhigter, größer und einfacher gesehen,
schlagender und überzeugender; immer sind sie porträthaft, originell und temperamentvoll, erfüllt von
spezifisch oberrheinischem Esprit und Glanz. Gut zum Vergleich eignen sich die beiden Marien: es sind
jugendliche, offene Typen; das Haar ist säuberlich gescheitelt; die Gesichter sind flach und glatt geformt
ohne starke Modellierung. Verwandt sind ferner die Gestalten des knieenden Kaisers und des großen hl. An-
tonius aus dem Locherer Altar mit dem Gottvater in Lyon: faltige Gesichter mit eingefallenen Wangen und
vorspringenden Backenknochen und flammenden, ausdrucksstarken Bärten. Verwandte Typen und Details
lassen sich auch sonst noch finden. Man beachte nur das ganz analoge Gefühl, mit dem Hände empfun-
den werden.
Die Faltengebung auf beiden Werken ist im Gesamten und im Einzelnen derselben Auffassung ent-
sprungen. Sie ist flüssig, lebendig, beweglich, die Körperform heraushebend, ohne jeden gesteigerten Über-
schwang. Die Gewänder sind nicht Selbstzweck, nicht Anlaß zu barocken Ausschweifungen. Auch ein so auf-
fallendes Detail wie das quirlende, lebhaft bewegte Schärpenende der Maria im Locherer Altar ist mit dem
wehenden Mantel Gottvaters verwandt. Das Pestbild ist malerischer (nicht nur wegen der farbigen Fassung),
weicher in seinen Falten, unruhiger in der Anordnung. Das Holz scheint manchmal geknetet wie Ton, ins-
besondere in den ausgedehnten Wolkenmassen. Die Schutzmanteldarstellung ist schnittiger, schärfer, präziser
im Ausdruck, eleganter und virtuoser in der Durchbildung, mehr aus dem Geiste des Materials und der aus-
führenden Instrumente heraus empfunden.
Die Vorzüge der Pesttafel liegen vor allem in den Details, in den einzelnen reizvollen Typen und
Figuren, in der reich quellenden Erfindung, in der ausdrucksvollen Charakteristik und der vortrefflichen Aus-
führung. Eine menschlich so ergreifende, edel empfundene und schön bewegte, ja an Michelangelos Eva
aus der Austreibung aus dem Paradies auf der sixtinischen Decke erinnernde Gestalt wie die kleine Aktfigur
links im Höllenrachen, die sich vor Verzweiflung die Hände vors Gesicht hält, faßt alle diese Vorzüge zu-
sammen. Sie ist in der zeitgenössischen deutschen Kunst ohne Analogie. Die Nachteile liegen hauptsächlich
in der verzettelten, gedanklich überlasteten und nicht voll in bildhafte Anschaulichkeit aufzulösenden, daher
unübersichtlichen Komposition. Sie ist wohl kaum ganz auf des Künstlers eigene Erfindung allein zurückzu-
führen. Man darf vielmehr annehmen, daß der Besteller und dessen Ratgeber das Programm bestimmten. Dieses
zuerst ist schuld, daß die einzelnen Gruppen und Figuren oft kaum zu erkennen sind, daß der Künstler zu
einem allzu kleinen Maßstab verhalten wurde. Die einzelnen Raumschichten des Reliefs gehen unklar

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