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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Fritz, Alfons: Theaterbezirke am Rhein vor hundert Jahren
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https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0054

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E. Hünten

Studie.

Theaterbezirke am Rhein
vor hundert Jahren.
Von Dr. Alfons Fritz.
Bekanntlich haben sich verschiedene Städte
Oberschlesiens zu einem Theaterbezirk zu-
sammengeschlossen, d. h. gemeinsam einem
Unternehmer die Leitung ihrer Bühnen über-
tragen ; nach vorher festgelegtem Plane spielt
seine Gesellschaft abwechselnd in den einzelnen
Orten einen Teil des Jahres hindurch. Weil
auf diese Weise die finanzielle Leistungsfähigkeit
einer Theaterdirektion und damit auch ihre
künstlerische in höherem Grade gewährleistet
wird, als wenn jede Kleinstadt ihr besonderes
Theater zu halten versuchen wollte, haben die
Zeitungen derartige Unternehmen, die übrigens
auch in anderen Gegenden Deutschlands z. B.
Pommern geplant werden, mit Freuden begrüfst,
aber nirgendwo begegnete man der so nahe
liegenden Reminiszenz, dafs die ehemals zum
Napoleonischen Weltreiche gehörenden deutschen
Länder am linken Rheinufer mit den übrigen
französischen Provinzen diese Einrichtung schon

vor hundert Jahren gehabt und erprobt haben.
Wenn überhaupt davon genauere Nachrichten
jemals zu den deutschen Bruderstämmen ge-
drungen sind, so hat man sie sicher längst ver-
gessen. Da die Geschichte allgemein als Lehr-
meisterin gilt und die Theatergeschichte diesen
Titel nicht weniger verdienen dürfte, als etwa
die politische, so werden meine teilweise schon
in der Schrift: „Theater und Musik in Aachen
zur Zeit der französischen Herrschaft“ * benutzten
Forschungen bezüglich der ehemaligen franzö-
sischen Theaterorganisation wegen ihrer Aktuali-
tät auf allgemeineres Interesse rechnen können.
Begründet war die vom Kaiser Napoleon
befohlene Neuregelung des Theaterwesens in
dem traurigen Verfall der Bühnen, den wir
wenigstens am Rhein im Beginne des ig. Jahr-
hunderts beobachten. Verschuldet war dieser
Niedergang durch mancherlei Umstände. Zu-
nächst durch die traurige Unsitte der Armen-
abgaben. Als wenn ein Kunstinstitut, das auf
der Höhe bleiben soll, statt finanziellen Zuschufs
aus der Hof- oder Stadtkasse zu empfangen, in
der Lage wäre, Unterstützungen zu einem noch
so löblichen Zwecke zu leisten! Zwar waren
Armenabgaben schon lange vor Ausbruch der
französischen Revolution gang und gäbe, aber
das französische Gesetz vom 27. November 1796,
welches zunächst nur für ein Jahr erlassen,
dann aber immer wieder erneuert wurde, setzte
sie auf 10 Prozent der Bruttoeinnahme eines
Theaterabends fest;** zu ihrer Verwaltung
wurden sogar überall besondere Wohlthätigkeits-
bureaus (bureaux de bienfaisance) eingerichtet,
denen die jetzt bestehenden Armenkommissionen
der rheinischen Städte wohl durchweg ihren
Ursprung verdanken. Eine empfindliche Schä-
digung der Kasseneinnahmen führte weiterhin
ein Erlafs des Direktoriums in Paris vom
3. April 1798 herbei, durch das Verbot, an christ-
lichen Sonn- und Feiertagen zu spielen, damit
der republikanische Kalender sich auch im
Theaterbetriebe einbürgere; denn welche Bühne
sieht nicht gerade den Sonntag als den einträg-
lichsten Tag der Woche an? Dazu kam die
rigorose Handhabung einer im Laufe der Jahre
zwischen zwei Extremen pendelnden Zensur.
Nicht etwa, dafs nur Stücke, in denen auf re-
publikanische Grundsätze oder Einrichtungen ein
mifsbilligender Seitenblick geworfen wurde, ver-
boten waren; schon das Auftreten von Königen,
Fürsten und anderen Standespersonen des alten
Regime genügte, ein Drama in den Augen der
Republikaner zu diskreditieren. Darnach hatte
* Bd. 23 der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins
(1901).
** Von Konzerten wurde seit dem Gesetz vom 26. Juli
1797 sogar ein Viertel der Einnahme als Armengeld verlangt.
Für Paris mochten derartige Abgaben allenfalls erträglich
sein; in Provinzialstädten kamen sie beinahe der Vernich-
tung jeder Kunstausübung gleich.

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