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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Servaes, Franz: Aus Wien, [7]
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Aus Wien.

Die Wiener Künstler rüsten sich, nach Düssel-
dorf zu gehen, und dort auf der grofsen „Inter-
nationalen“ ihre Kunstfertigkeit zu weisen. Von
den Wiener Künstlern möge daher in diesem
Brief den Düsseldorfern und ihren Nachbarn
Nachricht gegeben werden.
Natürlich sei dem Urteil meiner rheinischen
Landsleute nicht vorgegriffen. Aber als Einer,
der nun drei Jahre lang in Wien die Kunst-
verhältnisse sehr intensiv studiert, und der
auch hinter manchen Ateliervorhang und hinter
manche Kanzleithür hat schauen können, will
ich mir gestatten, so etwas wie eine allgemeine
Orientierung und historische Aufklärung zu geben.
Alles neue Leben in Wien stammt von der
Sezession. Das geben heute selbst die alten
Herren zu, die sie dereinst voll Hohn glaubten
abthun zu können und die heute nicht ohne
Neid ihre Machtstellung anerkennen. Seit vier
Jahren ist die Sezession in Thätigkeit, aber
schon nach dem ersten Jahr, ja vielleicht schon
am ersten Tage hatte sie ihren Sieg erstritten.
Er war, wie alle Wiener Siege, ungemein glanz-
voll im Anfang, dann mit nach und nach sich
geltend machendem üblem Nachgeschmack. Es
stellte sich nämlich heraus, dafs der Sieg ein
Modesieg war, und dies war das Gefährliche.
Die Sezession lief Gefahr, an diesem Siege zu
verbluten. Er war ihr gar zu leicht in den
Schofs gefallen, er hatte entsetzlich viel Nach-
ahmerschaft im Gefolge, er schreckte manche
vornehmen Naturen zurück, er liefs die Neid-
suppe des Ingrimms heimlich kochen und
schliefslich im gegebenen Moment (Klimt-Affäre!)
zischend überbrodeln.
Um das alles zu begreifen, mufs man sich
klar machen, dafs Wien beim Hervortreten der
Sezession seit etwa anderthalb Jahrzehnten
künstlerisch ausgehungert war. Nach Makarts
Tode war Kirchhofsstille eingetreten, in deren
Resonanzlosigkeit die paar grofsen Talente jener
Zeit, ein Emil Schindler, ein Hörmann, von
Anfang an zu ersticken drohten, bis sie schliefs-
lich in Wahrheit tragisch ins Grab sanken.
Aber gerade das traurige Verbluten dieser Grofsen
hatte in den jungen Talenten den moralischen
Trotz grofsgezogen, und so kam die Sezession
zustande. Es zeigte sich, dafs es dem öster-
reichischen Boden an künstlerischer Begabung
nicht fehlte, aber die lange Dürre hatte ihn
kraftlos gemacht. Sollte er wieder Früchte
tragen, so mufsten von auswärts neue Keime
eingepflanzt werden. Die Sezession begann also
damit, dafs sie die in Wien gänzlich unbekannt
gebliebene modern-europäische Kunstbewegung
durch Vorführung ihrer erlauchtesten Werke
„importierte“. Ein Staunen ohnegleichen brach
aus. Man hatte gar nicht geahnt, dafs es auf
der Welt so etwas gäbe. Mit einemmal lagen

die Kunstschätze eines ganzen Jahrzehntes, wie
Perserteppiche ausgebreitet, vor den schier ge-
blendeten Augen. Die Überfülle drohte zu ver-
wirren. Aber mit seltener Instinktsicherheit
traf der Wiener Geschmack seine höchst be-
zeichnende Auswahl. Soll man die drei Meister
nennen, die in Wien am tiefsten wirkten, so
sind das unzweifelhaft Giovanni Segantini, Max
Klinger und Fernand Khnopff. Nicht Leibi,
nicht Liebermann, nicht Eduard Manet, obwohl
auch diese Anerkennung fanden. Aber sie waren
nicht die Ersten, oder doch wenigstens nicht
die Nächsten. Selbst Böcklin stand, obwohl
hochverehrt, in einer gewissen Ferne. Die
Wiener moderne Entwickelung übersprang somit
den Naturalismus — und machte gleich bei der
neuesten Entwickelung, dem ästhetischen Sym-
bolismus, dem künstlerischen Pantheismus (wenn
man so sagen darf), Halt. Auch hierin lag eine
Gefahr, die — das sei gleich herausgesagt — bis
heute noch nicht völlig überwunden ist. Es
fehlt der Wiener Malerei, mit sehr wenigen
Ausnahmen, jene unbedingte Natursicherheit
und jenes felsenfeste Naturvertrauen, welche sonst
die moderne Malerei so stark gemacht haben
und als Grundlage nicht wohl entbehrt werden
können. Sie sprang zu rasch und unvorbereitet
ins äufserste Extrem. Und bezeichnenderweise
war es von den drei vorbildlichen Meistern
gerade Fernand Khnopff, der mit seiner Geheim-
thuerei und mit der Decadence seines Formen-
ästhetismus im Beginn die sichtbarste Wirkung
übte und die intimste Verehrung genofs. Geradezu
einen Rausch entzündete Klinger mit seinem
„Christus im Olymp“, und, was dem Gemälde
an reinmalerischen Qualitäten fehlt, trat weit
zurück hinter dem eminenten Kultur- und
Persönlichkeitseindruck, den es hinterliefs, und
der wohl einen Teil jenes „Gröfsenwahnes“
mitgenährt hat, den man zu Zeiten nicht ganz ohne
Recht den Sezessionisten zum Vorwurf machte:
es gab Momente, wo sie sich gleichsam Alle
„von Klingers Gnaden“ fühlten. Die heilsamste
Einwirkung übte Segantini. Sein hoher und
kindlicher Sinn wies zugleich ins Heilige und
ins Natürliche hinaus, lehrte die Einheit von
Gott und Welt. Und seine aufserordentliche
Maltechnik, die über der intim-empfindungsvollen
Wiedergabe des Kleinsten niemals den Ausdruck
der grofsen Linie aufser acht liefs und Wahr-
heit zur Schönheit steigerte, blieb ein steter
sichtbarer Hinweis, dafs das Handwerkliche die
ganz unschätzbare Grundlage jeglichen Kunst-
schaffens ist. Aber vielleicht war Segantini
für die jungen Wiener Künstler „zu hoch“.
Wohl klärten sie die Reinheit ihres Kunstsinnes
an ihm und übten sich, zumal nach dem vor-
zeitigen Tode des Meisters, in der schönen
Tugend der Verehrung: aber des Abstandes

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