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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Rüttenauer, Benno: Goethe und der Rhein
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Goethe und der Rhein.
Von Benno Rüttenauer.


öcklin, der Schweizer, hat nie die Alpen
gemalt, und Goethe hat den Rhein
nicht besungen. Wenigstens giebt es
kein eigentliches Rheinlied von ihm.
Die höchsten äufsern Gegenstände

haben oft das Schicksal, dafs gern mittelmäfsige
Talente nach ihnen greifen, und davon kann

auch Vater Rhein was erzählen. Aus Tausenden

von Jünglingskehlen, seit einem Jahrzehnt, er-
schallt stürmisch sein Lob und seines Weines
Lob, und die Worte sind von Frieda Schanz.
Nein wahrhaftig, der Rhein hatte kein be-
sonderes Glück mit den Poeten. Es giebt ein
gutes Rheinlied, ein vortreffliches Lied, ein an-
steckendes Lied. Seinem Dichter ist auch bei
weitem nichts Ähnliches wieder gelungen, und
das hebt an:

An den Rhein, an den Rhein, geh nicht an den Rhein!
Einige Poeten, die den Rhein besungen haben,
haben diese Warnung beherzigt lange bevor sie
nur ergangen war. Der alte Claudius, der Dichter
des populärsten Rheinweinliedes, das sogar von
Goethe zitiert zu werden die Ehre hatte, ist
nie an den Rhein gegangen. Ebenso hatHölty sein
Ein Leben wie im Paradies
Gewährt uns Vater Rhein

dem Hörensagen nachgesungen.
Man kann das lächerlich finden. Man kann
es aber auch ernst nehmen. In Wahrheit ist
es nichts weniger als lächerlich, dafs die Dichter
so oft Güter besingen, in deren Besitz sie selber
nie gelangen. Der rohe Besitzende mag sie
darum höhnen. Wer aber des Menschen Gemüt
und Seele kennt, der weifs, dafs Verlangen und
Sehnsucht sie stärker bewegen, als Besitz und
Genufs, und dafs die Blüten der Poesie nicht
so gern aus dem festen Erdreich der Gegenwart
sprossen, und wenn es auch das fetteste sein
sollte, sondern dafs sie ihre Hauptnahrung ziehen
aus den luftigen Gebieten der Sehnsucht und
Erinnerung.
Goethe hat vielleicht kein Rheinweinlied ge-
dichtet, weil er, wie wenige seiner Brüder in
Apoll, den Rheinwein, und den besten, getrunken
hat sein lebenlang. Er hat kein solches Lied
„exprefs“ gedichtet, aber er hat Lieder gesungen,
in denen der Rheinwein prickelt und perlt, so,
dafs man ihn mit der Nase riecht. Nur in
Rheinweinstimmung kann es aus ihm heraus-
gebrochen sein:
Mich ergreift, ich weiss nicht wie,
Himmlisches Behagen,
Will mich’s etwa gar hinauf
Zu den Sternen tragen?
Oder in gleicher Verzückung mit anderem
Rhythmus:

Er führet die Freude durchs offene Thor,
Es glänzen die Wolken, es teilt sich der Flor,
Da scheint uns ein Bildchen, ein göttliches, vor,
Wir klingen und singen: Bibamus.
Das ist eine ganz anders rheinische Stimmung
als wie sie in dem Lied des pietistisch ange-
hauchten Claudius mit dem sentimentalen Schlufs
zum Ausdruck kommt. Und das ist freilich
einmal nicht Sehnsuchtslied, sondern Gegen-
wartspoesie. Jede poetische Äufserung der
lauten Lust gehört in diese Kategorie.
Wir sind also überzeugt, dafs der Rhein und
sein Wein an der Goetheschen Lyrik schon
ihren Anteil haben. Etwas mehr vielleicht als
an dem berühmt gewordenen und millionenfach
gesungenen und gebrüllten Lied des weiland
Fräulein Frieda Schanz.
Goethes Gegenwart am Rhein nimmt ja in
seinem Leben einen breiten Raum ein, auch
wenn man „Rhein“ im engen und engsten Sinn
versteht und von Frankfurt und Strafsburg und —
Sesenheim absieht, das doch hart daran liegt.
Und sie wäre, wie er selber in den „Tag- und
Jahresheften“ mit tiefem Bedauern bemerkt, eine
noch ausgedehntere worden ohne die langen
Kriegsjahre, unter denen der Rhein mehr zu
leiden hatte als irgend ein anderer Gau des
Vaterlandes. Dankbar bekennt er:
Was ich dort gelebt, genossen,
Was mir all dorther entsprossen,
Welche Freude, welche Kenntnis,
Wär ein allzulang Geständnis;
Mög es jeden so erfreuen,
Die Erfahrenen, die Neuen!
Doch nur in einer seiner eigentlichen Dich-
tungen gröfseren Mafsstabs spürt man den Rhein.
Das ist Hermann und Dorothea. Wenn der
Schauplatz dieses Gedichts nicht am Rhein selbst
liegt, so ist er doch notwendig in rheinischen
Gegenden zu suchen. Denn
Sorgsam brachte die Mutter des klaren herrlichen Weines
In geschliffener Flasche auf blankem zinnernem Runde,
Mit den grünlichen Römern, den echten Bechern des Rhein-
weins.
Nicht dafs Rheinwein getrunken wird natür-
lich ist entscheidend, sondern wie er getrunken
wird. Näher noch bestimmt der Wirt die
Geographie:
Wie begrüsst’ ich so oft mit Staunen die Fluten des Rhein-
stroms,
Wenn ich, reisend nach meinem Geschäft, ihm wieder mich
nahte!
Immer schien er mir gross und erhob mir Sinn und Gemüte.
Wenn in diesen Worten die Stadt etwas
vom Rhein abgerückt ist, so stofsen wir bald
auf ein durchaus rheinisches Bild:
Und so standen sie auf und wandelten nieder, das Feld hin,
Durch das mächtige Korn, der nächtlichen Klarheit sich
freuend;

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