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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Neitzel, Otto: Musikalisches aus Monte Carlo
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Schäfer, Wilhelm: Zwei Landschaftspoeten: (Helmut Liesegang und Gustav Kampmann)
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https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0067

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für ihn hat, ist der Bruder Küchenmeister, der
ihm, mitten beim Abschaben und Zerschneiden
der Gemüse, die Legende von der Rose und
der Salbei erzählt. Auf der Flucht nach Ägypten
habe die Jungfrau die stolze Rose vergebens
gebeten, ihren Kelch zum Schutz des Jesuskind-
leins zu öffnen. Die schlichte Salbei aber habe
es gethan und sei seitdem gesegnet unter den
Blumen. Das nimmt sich denn Jean zu Herzen,
und während die andern Brüder in die Kirche
ziehen, bereitet er vor dem Muttergottesbilde
eine Liebesgabe besonderer Art für die Madonna.
Hurtig fliegt das Mönchsgewand in die Ecke,
der frühere Gaukler steht vor uns, er greift zur
Vielle, singt ein Lied und, unerhört, versteigt
sich zu einem flotten Tanz. Die herbeieilenden
Mönche, die Jean in seiner Verzückung gar
nicht gewahrt, schreien über Kirchenschändung
und können ihrem Entsetzen nicht laut und
scharf genug Ausdruck geben, als plötzlich das
Bild der Jungfrau sich belebt, ihre Hände zu
milder Segensgebärde über dem Unglücklichen
sich öffnen. Auch ruft sie ihn aus dieser hartherzi-
gen Welt ins Jenseits zu sich: ihm ist verziehen
und die Mönche sind um eine gute Lehre reicher.
Die Musik, die zuerst, dem Texte gemäfs
sich sehr vielgestaltig und frohsinnig anläfst,
wird immer ernster und vertieft sich von Szene
zu Szene. Das Lied des Küchenmeisters von
der Rose und der Salbei ist schlicht und rührend.
Ein grofses, symphonisches Zwischenspiel
zwischen dem zweiten und dritten Akt ist eine
Art Seelenbeichte Jeans, der den Mut seiner
Gauklerfrömmigkeit findet. Massenet ist überall
unbedingter Beherrscher der Stimmung, die er
weihevoll und im Geiste naiver Frömmigkeit
weitet und erschöpft; dem Ganzen ist eine tief-
ergreifende Wirkung sicher.
Der zweite Anziehungspunkt von Monte Carlo
war die schon im vorigen Jahre vorgeführte,
erst jetzt auch für andere Bühnen freigegebene
Inszenierung der Damnation de Faust von
Berlioz. Zwanzig Jahre nach des Meisters

Tod ist sie in Deutschland eingedrungen, der
Düsseldorfer Professor Buths hat sie an den
Rhein verpflanzt. Niemand möchte auf Grund
der Konzertaufführung die Bühnendarstellung für
angebracht halten. Berlioz selbst hat sie ur-
sprünglich im Auge gehabt, sich aber dann
angesichts der szenischen Schwierigkeiten auf
Konzertaufführungen beschränkt. Der Theater-
direktor Günsburg hat im Einverständnis mit
der Familie Berlioz die Bühnenanpassung ver-
fertigt und sich überall von der rechten Pietät
und einem nicht geringen Bühnengeschick leiten
lassen. Nur wirken manche Dinge trotzdem
ein wenig sonderbar, wie gleich der Rakoczy-
Marsch, welcher bald nach dem Anfang ertönt.
Faust mufste also schlechterdings einen kleinen
Abstecher nach Ungarn machen, bevor er zu
seinem Studierzimmer zurückkehrt. Das meiste
aber macht den Eindruck, als wäre es für die
Bühne geschaffen, so der Traum des Faust mit
dem Ballet der Sylphen und Gnomen; die Ver-
flechtung des Soldaten- und Studentenchors
wirkt doppelt ergötzlich, da man sie nicht allein
akustisch, sondern auch optisch gewahrt. Die
Höllenfahrt legt natürlich dem Inszenierungs-
künstler Rätsel auf, die bei der Kleinheit der
Bühne nur zum Teil gelöst wurden, die aber
an Bühnen wie München, Wiesbaden, an denen
mit den neuesten Errungenschaften der Szenen-
kunst gearbeitet wird, fraglos eine glänzende
Lösung finden werden. Ein Vergleich mit Liszts
Oratorium „Die heilige Elisabeth“, die ja auch
ihren Bühnenrundgang in szenischer Bearbeitung
gemacht hat, fällt unbedingt zu Gunsten des
Faust aus. Durch die Bühnengestalt würde aber
vor allem ein bedeutendes Meisterwerk dem
Fassungsbereich weiter Kreise erobert werden.
Zwei merkwürdige Opernwerke werden somit
aller Wahrscheinlichkeit nach ihren Siegeszug von
Monte Carlo aus nehmen. Der Stadt der Spiele
darf viel vergeben werden, denn die Theater-
kunst, die sie in dieser Saison betrieb, war her-
vorragend. Dr. Otto Neitzel.

Zwei Landschaftspoeten.
(Helmut Liesegang und Gustav Kampmann.

Es lassen sich zwei Möglichkeiten denken,
wie die Seele einer Landschaft durch den
Künstler in Farben oder Worten zur Sprache
gebracht wird: entweder er findet irgendwo in
der Welt eine Natur, die seinem Gemüts-
zustand so entspricht, dafs er in ihrer Schilderung
seine eigenen Stimmungen entladen kann. Oder
aber er wächst unter ihren Bäumen auf und
beginnt nachher in Liebe von ihr zu singen,
wie ein Kind von den heimlichen Herrlichkeiten
der Mutter spricht. Das eine Mal entsteht ein
Pathetiker der Landschaft, das andere Mal
ein Poet.

)
Es gab eine Zeit, wo der Rhein Pathetiker
die Fülle hatte: wo seine Berge und Burgen
mit soviel romantischem Glanz umstrahlt wurden,
dafs sie uns heute fremd geworden sind. Denn
aufrichtig: seine „Poesie“ ist den Vergnügungs-
reisenden zwar eine tönende Schelle, aber wo
sind die modernen Dichter und Maler, die sein
Lob verkünden? Dabei ist eins sehr sonderbar:
Dafs die Schüler des Impressionismus, die
gleichsam in Studien die Natur neu lernten,
um so vielleicht später auch wieder zu einem
wirklichen Bild zu kommen, ein leuchtendes
Rapsfeld der Schieferfelsentheatralik des Rheins

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