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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Poppenberg, Felix: Anzengruber-Spiegelungen
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Servaes, Franz: Aus Wien, [8]
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https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0221

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Ich behandele alle Charaktere so, ich nehme
erst den Menschen, hänge ihm das Standeskieid
um und dann gebe ich ihm so viel von der ge-
wöhnlichen lokalen Umgebung, als sich mit den
künstlerischen Intentionen verträgt.“
Und selbstverständlich war Anzengruber dabei
jene Eigenschaft, die Hebbel als Kardinaltugend
des Dramatikers aufstellt, die unbedingte Un-
parteilichkeit den Gestalten gegenüber, die jeden
von seinem Standpunkt aus recht haben läfst.
Alle Anschauungen gelten ihm für berechtigt,
sobald sich nur die betreffende Person in der
richtigen Situation dazu befindet.
* *
Meistersingerlich erscheint uns diese Gestalt
in der Enge beschränkter, kleinhäuslerischer

Existenz, dem im Werkeltag eingesponnenen
Schreiberwesen, der Sorge um Brot, Nahrung
und Verdienst, dem bescheidenen Abendtrunk
und der Weite der Welt, die sich, reich und
voll tausendfachen Lebens nimmer alt, nimmer
kalt, immer frisch erstehend, immer neu sich
schaffend, als ein unsichtbares Königreich hinter
der Alltagshülle breitet. Hans Sachs - Verse
könnten auf diesem Grabstein stehen:
Kam Sommer, Herbst und Winterszeit,
Viel Not und Sorg im Leben,
Manch ehlich Glück daneben,
Kindtauf, Geschäfte, Zwist und Streit;
Denen’s dann noch will gelingen
Ein schönes Lied zu singen,
Seht, Meister nennt man die.

Eugen Kampf: Landschaft bei Nieuport.


Aus Wien.

Anknüpfend an das, was ich im vorvorigen
Heft geschrieben habe, mufs ich nochmals von
der hiesigen Sezession Etwas sagen. Und zwar
bin ich in der angenehmen Lage, meine früheren
Worte nicht etwa abschwächen, sondern im
Gegenteil noch verstärken zu können. Die
Sezession hat soeben eine That vollbracht, die
vielleicht bahnbrechend wirken wird, und sie
hat zu gleicher Zeit eine Probe von künst-
lerischer Gesinnung abgelegt, die noch höher
zu bewerten ist als jene künstlerische That.
Den Anlafs zu beiden bot die Ausstellung von
Klingers soeben vollendetem Beethoven-
Monument, das in Wien zum erstenmal vor

die Öffentlichkeit gebracht wurde. Klinger that
dies, weil er wohl der sehr richtigen Über-
zeugung ist, dafs er nirgends in der Welt so viel
Verehrung, Liebe und feinstes Verständnis bei-
sammen findet als bei seinen Freunden in Wien,
zumal in der Sezession. Und die Sezession hat
ihm zeigen wollen, dafs er sich darin nicht ge-
irrt hat. (Die Haltung eines grofsen Teiles der
übrigen Bevölkerung hat freilich das Gegenteil
bewiesen.)
So hat man denn dem „Beethoven“ eine
Aufstellung gegeben, wie sie vielleicht noch nie
ein einzelnes Kunstwerk, am wenigsten unmittel-
bar nach seiner Fertigstellung gefunden hat.

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