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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Schur, Ernst: Münchener Kunst: Frühjahrs-Ausstellung der Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0227

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Münchener Kunst.

Frühjahrs-Ausstellung der Sezession.

Die Maler haben etwas, das sie absondert,
vor allem schützt, alles fernhält, auch das
Publikum, das, wie sie nun sagen, nur um ihret-
willen da ist. Es ist gleichsam ein Talisman.
Die Technik!!!
Dies ist ein mystischer Begriff, hinter den
sie flüchten. Dunkel reden sie von etwas und
in Andeutungen, wovon der Laie nichts ver-
steht. Was ist das?
Es ist die Technik!!
Anscheinend giebt es nur bei den Malern
eine Technik. Nur diese reden wenigstens immer
wieder davon. Anderswo hält man dies für
etwas Selbstverständliches.
Einen Menschen, der kein Sprachgefühl hat,
der nicht die Worte knetet und formt, der nicht
mit Worten malt wie mit Farben, der nicht die
Wortklänge sich folgen läfst wie Töne, der nicht
sich müht, in die Urbeziehungen und Ur-
bedeutungen des Wortes hinabzutauchen — und
dies alles vielleicht um so mehr, je weniger es
ihm klar ist — wird niemand für einen Dichter
halten. Wer diese technischen Vorbedingungen
— freilich giebt es aufserdem noch andere

wesentliche Eigenschaften — nicht erfüllt,
was ist er?
Ein stümperhafter Dilettant!
Ein Musiker, dem nicht die Töne der In-
strumente ein immer neues Rätsel sind, dessen
Farben er mischt, dessen Werte er ordnet —
was ist er?
Ein stümperhafter Dilettant!
Und ein Maler? Ist ein Maler! Er „ringt“
eben noch um die Technik.
Es scheint sonst selbstverständlich, dafs man
mit seinem Handwerkszeug umzugehen ver-
stehen mufs.
Bei keiner anderen Kunst hat man ein Mittel
so zum Zweck erhoben. Mit Vorliebe spricht
man von technischen Problemen und deren
Lösung. Die anderen Künste behalten das für
sich — bescheiden oder stolz — und nehmen
es als selbstverständlich. Der Maler wirft seine
ganzen Geheimnisse auf den Markt und erlaubt
jedem, darin herumzukramen.
Manches wurde in unseren Jahren errungen
und manche Geister wurden.
Nun kommen die anderen und strecken ihre
Hände nach ihnen aus und nehmen ihr
Teil von ihnen. Ist es nicht, als ob sie sag-
ten: so weit sind wir zurückgeblieben; wir
müssen nun vor allem daran denken, wie
wir unsere Aufgaben erledigen, um mitzu-
kommen. Und um hierfür einen Namen zu
haben und eine Berechtigung, reden sie von
Technik.
Sie reden von Technik. Alle sind darin
einig und plappern es nach. Und es ist doch
nur ein Hanswurstspafs.
* *
*
Wenn man durch die Säle der diesjähri-
gen Frühjahrsausstellung der Sezession geht,
fällt eines auf: die Gleichmäfsigkeit des Ni-
veaus! Nicht als ob dies Niveau ein nie-
driges wäre! Im Gegenteil. Man wäre er-
freutgewesen, hätte man vor einigen Jahren
eine solche Fertigkeit des Malens wahrge-
nommen. Der Fortschritt ist ein rapider.
Ein unglaublicher Lerneifer leitete alle. Und
immer sind sie bestrebt, hinzuzulernen. Das
Ausland war ihr Lehrmeister; aber das würde
nichts schaden. Hätten sie selbst nur eigene
Wege gefunden! Könnte man ihnen das
Schülerbewufstsein austreiben.
Es ist nicht mehr so: einige, wenige bil-
den einen auserlesenen Kreis; die anderen
suchen noch und tappen. Nein, zu allem
findet man leicht ein Verhältnis, weil es
immer dasselbe ist. Es hat keiner den Mut
zu sich, zu seinen Dummheiten. Ein aus-
gefahrenes Geleise, in dem sich alles bewegt.


Adolf Nieder: Taufe Jesu.

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