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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Lücke, Hans: E. Asenijeff: Max Klingers "Beethoven"
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https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0476

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E. Asenijeff: Max Klingers „Beethoven“.

e grofsen Bildhauer, insbesondere die
des klassischen Altertums, seien
dumm gewesen, behauptete einmal
ein sehr junger Freund von mir, und
diktierte schliefslich, durch meinen
Widerspruch gereizt, über all’ meine Gegen-
beweise achselzuckend, jeder grofse Künstler
müsse eigentlich dumm sein.
Wie ich nun vor Klingers „Beethoven“ stand,
gingen mir die Augen auf; hatte sich mein Freund
auch nicht sehr geschickt ausgedrückt — recht
hatte er eigentlich doch; wieviel mehr würde
so mancher als Künstler sein, verdürben nicht
seinem naiven Künstlerempfinden kluge klügelnde
Gedanken eines Vielwissenden das Konzept.
Dafs Max Klinger gewaltig viel oder vieles
kann, wird vor diesem merkwürdigen Werke
niemand bestreiten; meisterhaft ist das Werk,
meisterhaft in allen Teilen, aber dafs es
das auch als Ganzes sei, können doch wohl
nur Schwärmer behaupten.
Dem Ganzen als Einheit gegenüber ist Klinger
nicht Meister geblieben — er hat sich nicht
selbst bemeistert.
Jahrelang hat der Künstler das Werk in sich
getragen, jahrelang daran geschaffen, skizziert,
geformt und komponiert, gewählt und verworfen,
wie er auch jahrelang unermüdlich nach ton-
richtigen Stoffen suchte; — dem äufseren Reich-
tum des Werkes ist das alles zu gute gekommen,
nicht seiner inneren Gröfse.
Klinger hat nicht die Kraft gehabt, die über-
vielgestaltende Phantasie eines höchst geist-
reichen Kopfes zu bändigen — für den heiligen
Dienst der einen Sache, der einen Seele aller
grofsen, ohneRest ausgereiften Kunst, der schönen
Einfachheit, der reinen Selbstverständlichkeit —
oder wie man das Unfafsbare sonst noch nennen
will.
Mein Freund hat recht — hätte sicher vor
diesem Werke recht gehabt, wenn er sich dahin
ausdrücken würde: Als Mensch, als Denker, als
schwärmerischer Verehrer des grofsen Ton-
erzeugers mochte er so klug, so kultiviert sein,
wie er konnte oder wollte — schade, dafs er
sich als Künstler nicht dümmer gab.
Nicht nur viel sagt dieses Werk, es sagt zu
viel — es plaudert beinahe. Und hier kann ich
gleich einfügen: dies „Zuviel“ ist eben dem
unsterblichen Geiste dessen, den es wie einen
Olympier ehren soll, widersprechend. Einen
geistreich-unruhigen Richard Wagner, welcher
vom „Holländer“ bis „Parsival“ so viele Stile
beherrscht, dafs Zola sein Schaffen nicht ganz
mit Unrecht die Arche Noah der Kunst benannte,
hätte ein so gestaltetes Werk richtig charak-
terisiert, einem Beethoven thut es Unrecht.
Schon das Olympiertum, das Zeushafte, steht
ihm kaum an, ihm, der die Kunst zur Erde, zur

Quelle, zur Natur zurückführte! Aber vor allem:
Beethoven war auch bestürmt vom Vielerlei der
Gedanken, der Empfindungen aller Art — wie
hat er den Sturm gebändigt zur ruhigen, ein-
fachen Klarheit, zur wahrhaft meisterhaften Tiefe
und Gröfse!
Nun — nicht ein jeder erklimmt so hohe
Stufe, und keiner kann über sich selbst hinaus.
Wohl darf man sagen, dafs ein so bedeutendes
Werk bildnerischer Kunst von dem Radierer
Klinger nicht vorauszusehen war — aber schaut
man genauer zu, so finden wir in jenem doch
den gleichen Mann, dem die Fülle geistvoller
Gedanken und Beziehungen ein Blatt Radier-
kunst nicht genügen liefs, der sich in grofsen
Serien aussprechen mufste.
Wer kennt nicht die wundervolle Radierkunst-
Serie „Brahmsphantasien ? — Nun, zerlegen wir
einmal das neueste Werk des Bildhauers in
seine Teile, und die „Serie Beethoven“ ist da.
Ein kleines Prachtwerk, vor kurzer Zeit er-
schienen , hat diese Arbeit der Zerlegung in
erklärendem Sinne der Entstehungsgeschichte
übernommen.*
Einem jeden Teil und Teilchen wird es
gerecht, und wir staunen über den Fleifs des
originellen, geistreichen Mannes — über eins
aber am meisten!
Da giebt ein Blatt den Hauptteil des Werkes
allein wieder: Beethoven und den Adler. Der
mächtige Sessel fehlt, Rück- wie Bronzearme.
Der Meister-Gott thronend nur auf einem niederen
Sitz — aber wie grofs steigt die Form seines
jetzt ganz sichtbaren Körpers empor — wie an-
ders wirkt diese einfache, unpathetische Haltung.
Die fast drohend geballten Fäuste verraten
die Anstrengung und Aufregung eines mächtigen,
inneren Kampfes. Stark vorgebeugt lauscht das
ganze schöne Marmorbild, und in den Zügen
wühlt der Sturm des visionären, schöpferischen
Denkens — nicht das träumerisch-schwermütige
des „Pensore“, des Giuliano Medici, des grofsen
Buonarotti, nein das Denken der That, die
werden will; noch ein letztes Aufzucken der
finsteren Brauen unter der durcharbeiteten Stirn
— es ist geschehen — der Adler erhebt sich —
und wem Musik gegeben, dem braust es unwill-
kürlich in den Ohren — die Eroica, die Neunte!
Schade, dafs der Schaffende das so nicht
sah — er hätte den ganzen Prachtsessel mitsamt
Christus, Johannes, Maria, Magdalena, Aphrodite,
Tantalus, Adam und Eva, Elfenbein-Kinderköpfen,
ruhenden Menschen und Palmen beiseite ge-
schafft — in ein Kunstgewerbemuseum vielleicht!
Wir aber hätten einen grofsen „Beethoven“
gehabt, weil wir einen einfachen hatten. Was

* E. Asenijeff, Max Klingers Beethoven (Herrn.
Seemann Nachf., Leipzig).


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