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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Schäfer, Wilhelm: Grossherzog Ernst Ludwig und die Ausstellung der Darmstädter Künstler-Kolonie
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https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0061

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berufenen Künstler mit ihren geradlinigen Be-
ziehungen zum Fürsten denn doch eine gewaltige
Störung der konzentrischen Wellenkreise, mit
denen das höhere Leben einer kleinen Residenz
den Hof umplätschert.
Gleich nach der Eröffnung blies denn auch
ein sehr kalter Windstofs nach der Mathilden-
höhe hinauf: Ein Mann der obersten Behörde
von Darmstadt untersagte den Schülern den
Besuch derselben Ausstellung, die von dem
eigenen Fürsten veranlafst und eröffnet war;


E. Hünten

Studie.

aus moralischen Gründen. Und am Morgen
nach dem Schlufs der Ausstellung wurden von
einem Rat des Kabinetts die Schlüssel zum
Ernst Ludwighaus, worauf es allerdings ein
Recht hatte, gefordert. Nehmen wir noch soviel
Reizbarkeit der Künstler an: das bringen keine
Dementis aus der Welt, dafs sie sich am Tage
nach dem Schlufs der Ausstellung aus ihrem
Dokument deutscher Kunst an die Luft gesetzt
fühlten. Und das geschah ihnen in der Stadt,
die sie zu einem Ausgangspunkt einer Kultur-
bewegung geträumt hatten.
Es liegt mir durchaus fern, das idyllische
Darmstadt und seine freundlichen Bewohner
irgendwie zu schmähen. Dasselbe Schicksal
wäre der Künstlerkolonie in jeder andern Stadt
begegnet, die ebenso neben dem modernen Leben
liegt. Und wenn sich heute ihre Bürger —
nicht nur die Leidtragenden am Defizit — durch
die Künstler-Kolonie mehr oder weniger geprellt
fühlen, sind sie vollkommen im Recht.
Ich denke oft, was hätte aus einer solchen
Sache z. B. in Düsseldorf werden können, unter
der Schwungkraft eines wahrhaft kunstsinnigen
Hofes, der unserer Kunststadt leider fehlt. Hier,
wo eine Tradition für die Kunst jede Summe
locker macht, wo der Luxus einer Industrie-
stadt ersten Ranges und der geschulte Sinn für
künstlerischen Schmuck den Künstlern wirkliche
Aufträge gebracht hätten, die in Darmstadt natür-
lich ganz fehlten, wo sie vor allen Dingen in
ein künstlerisches Leben — meinetwegen als
Hechte — gekommen wären.
Zwar wenige Stunden weit von Darmstadt
liegt Frankfurt, und die Darmstädter Künstler
hatten wohl gehofft, dort lebendiges Wasser zu
finden. Aber wer den Frankfurtern einen so
närrischen Enthusiasmus für moderne Kunst
zutraut, dafs sie damit nach Darmstadt auf die
Suche gingen, nimmt sie oberflächlich. Sie
wissen als Bürger des reichsten und blühendsten
Gemeinwesens in Deutschland sehr wohl, was
sie der Tradition der alten Reichs- und Krönungs-
stadt schuldig sind.
Ich sagte, dafs sich die Darmstädter durch
die Künstler-Kolonie gewissermafsen geprellt
fühlen müssen. Der Welt, uns mit unseren
Sehnsüchten, geht das ebenso. Und das ist
das Schlimmste. Auch die Künstler selbst —
wir Hoffenden mit — haben zu wenig an das
organische Wachstum der Kultur gedacht, wo
jeder Tropfen Saft durch tausend Zellen steigt,
bis er in der Blüte zur schönen Form gelangt.
Wie bestürzt stehen wir nachträglich mit
unseren hoffnungsgrofsen Träumen vor der kleinen
Erfüllung. Wie erwarten wir eine Architektur,
monumental nicht in der Nachahmung assyri-
scher Tempel, sondern in der machtvollen
Struktur des völlig anderen Baumaterials? Wie
erwarten wir eine Kleinkunst, logisch erwachsen
aus unseren modernen Bedürfnissen! Wie er-

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