Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

DOI Artikel:
Klein, Rudolf: Berliner Brief: (Politik und Kunst)$Rudolf Klein
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0237

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
wiegt. Adel ist Kultur. Und dafs hochbegabte
Künstler und Forscher Plebejer sein können —
und darum auch nicht das Höchste leisten —
hat mancher in unseren Jahrzehnten bewiesen.
Die Inzucht des Adels bringt notwendig das
innerste Wesen des Volkes zum Durchbruch.
Dagegen spricht die Dekadenz einzelner Glieder
nicht. Der Geist eines Volkes ist stets ein heil-
samer, weil ein synthetischer. Der analytische
Geist der letzten Jahrzehnte war ein plebejischer
und krankheiterregender in seelischer Beziehung.
Der Geist des Adels ist Kunst, ist ins Leben
übertragene Kunst. Er allein verbreitet die Atmo-
sphäre, in der die Künste gedeihen. Man
schaue zurück auf die grofsen Epochen: der
Geist der Fürsten, der Kirche, der vornehmen
Welt, der Geist der Tradition und Inzucht
war es, auf den die Künstler ihre Seele stimmten.
Daher die Einheit. Die Gröfse. Hierauf müssen
wir uns wiederbesinnen, nachdem sie zu lange
schon dem Irrtum verfallen waren. Dafs jeder
Bürger durch Zucht und Schulung ein Adeliger
werden kann und somit zum Baustein un-
serer Zukunft halten, beweist der Typus des
deutschen Offiziers. Ein intelligenter Offizier
ist in seiner ganzen Denk- und Empfindungs-
weise mehr Künstler wie die grofse Zahl
jener geschmacklosen plebejischen Kunst-
schuster von heute. Geist und Körper sind
bei ihm gleich ausgebildet, er verbreitet eine
so reinliche Atmosphäre, empfindet vornehm
und ist fromm ohne zu frömmeln: er hat
Kultur. Sein Geist — der nicht zu identi-
fizieren ist mit gewissen Gewohnheiten jün-
gerer Offiziere — mufs die übrige Bevölke-
rung durchdringen.
Dafs gerade unsere Zeit zur Umkehr mah-
nen und uns mit leiser Hoffnung stärken
könnte, sollte ein Blick auf die aufsergewöhn-
liche Gestalt Kaiser Wilhelms II. lehren. Ein
Herrscher, der mit dieser erstaunlichen Ar-
beitskraft und Begeisterung jedes Interesse
des Vaterlandes wahrnimmt, müfste uns zur
Besinnung bringen. Dafs dem noch nicht
so ist, mag, abgesehen vom Parteigezänk, die
den Deutschen eigene Uneinigkeit begründen.
Wies doch Wilhelm II. unlängst noch auf
das Wort des Tacitus: propter invidiam!
Stände ein Mann wie Wilhelm II. an der
Spitze der französischen Nation, er würde
sie durch den Feuereifer seiner Persönlich-
keit zu Thaten hinreifsen. Nur wir kennen
die Zauberkraft der Einigkeit nicht, wollen
sie nicht kennen. Man mag über die Stellung
der Engländer im Boerenkriege denken wie
man will: die Selbstverständlichkeit, mit der
dieses politisch reife Volk einstimmig in der
Sache aushält, ist zu bewundern. Wie wäre
in diesen Tagen so etwas bei uns möglich!
Die Partei ist der nimmersatte Moloch. Und
gerade die Künstler sollten zum Kaiser halten.

Wie aufsergewöhnlich ist das Interesse dieses
Monarchen für die Kunst. Leider herrscht
zwischen dem Kaiser und einem Teil der füh-
renden Künstlerschaft eine tiefgehende Dishar-
monie der Meinungen, die die Zeit bald heilen
möge. Dafs er gerade der neuen Kunst un-
freundlich gegenübersteht, mag denen verständ-
lich sein, die wissen, wie sehr man im eigenen
Lager die Anschauungen gewandelt hat. Es ist
eben wie in der Medizin, man macht täglich
neue Entdeckungen, um schliefslich zu den alten
Hausmitteln zurückzukehren, so in der Kunst zur
Lehre von den ewigen Gesetzen, die der Kaiser
mit grofser Einsicht betont. Nur scheint er hier
zu übersehen, dafs diese ewigen Gesetze sich
stets in neue Formen kleiden: die Antike, Lio-
nardo, Dürer, Rembrandt, Böcklin beweisen es.
Und liegt, wie man in Künstlerkreisen einstimmig
annimmt, entschieden ein Irrtum vor, wenn der
Kaiser die Kunst der Siegesallee der der Re-
naissancemeister an die Seite stellt.
Aber dieser augenblickliche Meinungsstreit


47

Gustav Rutz: Friede.
 
Annotationen