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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Klein, Rudolf: Die Deutschnationale Kunstausstellung 1902
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https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0456

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bezeichnen, dem kalten, nüchternen, auf das
Wirkliche gerichteten Preufsensinn ist er das
Grundwesen. Von jeher hat man Kant, Lessing,
Friedrich II. speziell ihrer kalt-kritischen Ver-
standesschärfe wegen echt preufsische Geister
genannt, aber der gleiche Norden hat auch die
Mystiker Th. A. Hoffmann und Hamann hervor-
gebracht und so sehen wir denn dort auch, wie
ich schon früher erwähnte, eine Reihe junger
romantischer Künstler am Werke, aber man will
sie nicht gerne gelten lassen und betrachtet sie
dort als sonderbare Schwärmer. Wie sehr Berlin
die Stadt des Realismus ist, lehrt uns ein Blick
auf frühere Zeiten. Als die klassizistische
Griechenlandschwärmerei in vollster Blüte stand,
arbeiteten dort Meister wie Chodowiecki und der
Bildhauer Gottfried Schadow. Dann, ganz los-
gerissen und unabhängig von seiner Zeit, Menzel.
Dieser Preufsengeist, der wie das alte Berlin
und mit Persönlichkeiten wie Schadow und
Menzel unter den rechten Bedingungen höchst
wert- und charaktervoll auftreten kann, war vor
allem nach 1870 bedenklich entartet, sagen wir
zum Unteroffiziergeist entartet. Das ganze Ber-
liner Leben, seine Architektur und nicht zum
wenigsten seine Kunst, legen hiervon ein be-
redtes Zeugnis ab. Künstlerisch denkende und
schaffende Maler waren weifse Raben. Der her-
vorragendste zweifelsohne Max Liebermann. Für
das grofse Publikum schuf er geradezu im Ver-
borgenen und nahm bis vor nicht allzulanger
Zeit eine Sonderstellung ohne Anhang ein, wie
Menzel während seines langen Lebens. Berlin
war somit ein fast unbeackerter Boden. Und
wie um 1890 dort die Samenkörner aller aus-
ländischen Litteraturen aufgingen, so war es auch
in der Malerei. Aber hier wie dort ziemlich
kunterbunt. Keime aller Richtungen wucherten
empor. Verschiedene Gruppen von jungen
Künstlern schlossen sich zusammen, um sich
bald wieder aufzulösen, während sie in dem
Gros mittelmäfsiger Bilder in den Ausstellungen
am Lehrter Bahnhof auf schlechten Plätzen ein
ziemlich unbemerktes Scheindasein führten, bis
dann zwei entscheidende Gründungen die Kon-
stellation der Dinge auf einmal änderten: die
Gründung des Salons Cassirer und die Gründung
der Sezession. Von hier ab liefs sich von einer
jungen Berliner Malerei reden, die einen ein-
heitlichen Charakter trug, ein besonderes Ge-
präge, gewissermafsen eine Schule Liebermanns;
alle verwandten Naturen sammelten sich um den
Meister und Führer. Und eine ganze Anzahl
junger Begabungen wurde auf diese Weise ans
Licht gezogen. So bildet denn den Grundstock
der jungen Berliner Malerei eine Gruppe von
Künstlern, denen in allererster Hinsicht kolo-
ristische Probleme am Herzen liegen. Diese junge
Berliner Malerei ist gewissermafsen eine Neu-
belebung des schon so oft totgesagten Impres-
sionismus, sie ist es und zwar auf eine Weise,

die sehr verschieden ist von jener ersten Mün-
chener Epoche, die noch stark nach Atelier roch.
Damals war die Atmosphäre meist ein künst-
licher, höchst materieller Bestandteil des Bildes,
und das Blau wurde von Vielen besonders be-
vorzugt. Heute ist man in Berlin weit farbiger
geworden und die einzelnen tiefen und satten
wie hellen Töne scheinen das Licht gleichsam
aufgesogen zu haben und wieder von sich zu
strahlen. So vor allem in den letzten Werken
Liebermanns, der hiermit gewissermafsen seinen
Höhepunkt erreicht hat. Man könnte sagen,
diese junge Malerei stehe unter dem Zeichen
Manets und zwar des späten Manet. Der roman-
tische Zweig der jungen Berliner Schule wird
hierneben, mit Ausnahme von Hofmann, der
ja von der Natur ausgeht, als ein nicht eben-
bürtiges Anhängsel betrachtet. Es läfst sich
somit in der That von einer jungen Berliner
Malerei reden, die durchaus auf eigenen Füfsen
steht und zur Zeit die regsamste der deut-
schen Kunstzentren scheint, indem sie den
innigsten Zusammenhang mit der Natur noch
unterhält. Was aus diesen beiden Parallel-
strömungen, der romantischen und der natura-
listischen, sich noch entwickeln wird, die Zu-
kunft mufs es lehren. Aber eins wird niemand
leugnen können, auch hier in Düsseldorf zeigt
der Saal der Berliner Sezession im Vergleich
zu den anderen eine ganz besondere Frische.
Und dann noch eins: gerade hier fällt es auf,
wieviel einheitliches Schaffen unter Führung
einer starken Persönlichkeit wert ist: in diesem
Saal können einige weniger gute Arbeiten hängen,
die man vielleicht anderswo nicht beachten
würde, hier wirken sie als Glieder eines Ganzen
und werden durch ihre Umgebung gehoben. Die
führende Persönlichkeit ist, wie schon gesagt,
hier Liebermann. Er ist mit Werken seiner
drei letzten Epochen vertreten. Die wenigsten
werden sich erinnern, dafs er als ein Schüler
Munkaczys begann und kleine, etwas genre-
hafte Interieure in tiefem braunem Ton malte.
Dann studierte er bei Israel, und Bilder wie die
Netzflickerinnen entstanden. Dann mühte er sich
speziell um die Wiedergabe des Sonnenlichtes,
er malte die Amsterdamer Waisenhausbilder.
Aber allen diesen Werken ist noch etwas
Schweres, Materielles eigen gegen seine letzten,
deren glänzende Probe die „zwei Reiter am
Strand“. Die Wenigsten vermögen den aufser-
ordentlichen Wert dieses einfachen, für die
Meisten skizzenhaft wirkenden Bildes zu er-
messen. Man vergifst hier in der That die
Malerei. Und wohl nur ein Maler verwandter
Art kann die eminente Kunst werten, die darin
steckt, diese paar Töne so rein, einfach und sicher
nebeneinander zu stellen, dafs die Figuren derart
im luftigen Raum stehen. In diesem Bilde ist vor
allem nichts von jener materiellen Atmosphäre,
die ich vorhin als einen Bestandteil des Münchener

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