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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Schäfer, Wilhelm: Claus Hinrich Ringhoff
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https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0470

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dem unteren noch am Bein gehalten und auf
die Kniee und Füfse der andern ins Boot ge-
worfen. So mit einem betrunkenen Gesindel,
mit einem Kerl, der sich selbst geschlachtet
hat und unterwegs noch stirbt, fahren sie durch
das stürzende Meer zurück, die ihr Leben dran-
gesetzt hatten, um Menschen zu retten.
* *
*
Ein anderes Mal mitten im Sommer: Die
See geht nicht sonderlich hoch. Aber der kleine
graue Dampfer ist voll Wasser. Er wird im
nächsten Augenblick versinken wie ein Bolzen
und im Strudel alles mitreifsen, was in seinem
Umkreis ist. So können sie nicht anlegen,
stehen in den Rudern bereit, in jeder Sekunde
von ihm fortzukommen. Wer gerettet sein will,
mufs den Sprung ins Wasser thun. Und alle
wagen ihn, alle schiefsen aus der Flut wieder
hoch wie Kork; denn dürr oder fett, solange
der Mensch lebendig ist, bleibt er dem Meer
zu leicht. Und allen wird ein Rettungsgürtel
zugeworfen. Nur zwei — wie überall auch
hier die zögernden Letzten — ein junges Mädchen
und ein Pater fürchten sich. Ihnen ist das
Holz unter den Füfsen sicherer als das boden-
lose Wasser. Aber an dem Holz hängt und
zieht der Tod. Soviel sie ihnen winken, zurufen
und schreien: dem einen giebt sein Glauben
keinen Mut und der andern ihr junges Leben.
Wenn einer sie von hinten hinunterstiefse, die
schaudernd vorgebeugt dastehen.
Irgendwoher kommt ein Schnarren, wie wenn
eine Uhr ablaufen will. Das schliefst mit einem
erstickten Zischen und lautlos wie ein Bolzen
versinkt der Dampfer. Ein glattes Rauschen
bohrt sich ihm nach ins Meer hinunter. Wie
eine Feder wird das Boot zurückgerissen. Aber
schon schlagen und schäumen die glatten Fluten
von allen Seiten ineinander. Wirbelnd dreht
sich das Boot. Dann werfen die Wellenkämme
ihre tanzenden Streifen über dieses Grab wie
über die andern. Claus Hinrich Ringhoff auf
ihrem Rücken fährt seine Beute heim.
* *
*
Schon kennt die ganze Küste seinen Namen.
Da ist es eines Tages mit ihm vorbei. Von
Kuxhaven wird gemeldet, dafs die See den
kleinen lächelnden Menschen doch geholt hat.
Und das ist so:
An einem Dezembertag, drei Tage vor Weih-
nachten, geht die See gewaltiger als je. Seit

einigen Wochen ist ein neuer Kapitän auf dem
Elbleuchtschiff Nummer zwei, der den Schiffs-
zimmermann Claus Hinrich Ringhoff noch nicht
kennt. Der aber kennt ihn: Er hat sein junges
Gesicht blafs gesehen, als er im Boot auf das
Leuchtschiff kam und die Wellen stürmisch
gingen. Aber der Kapitän kennt seine Pflicht.
Durch den kalten Nebel, den fürchterlichen
Dunst, in dem alles sonst lautlos versinkt, sind
dumpfe Schüsse gekommen und so mufs das
Boot hinaus.
Claus Hinrich Ringhoff, der nicht blafs wird,
wenn um ihn die See brüllt, schüttelt den Kopf.
Es geht zur Nacht. Die da draufsen, wer weifs
im Nebel, wo sie liegen, sind auf ihrem Dampfer
sicherer als ihre Retter im kleinen Boot. Der
Kapitän, der sein Leuchtschiff nicht verlassen
darf, hat ein edles Herz und einen heifsen Kopf.
Er befiehlt, in einem blühenderen Zorn, als ihn
Ringhoff ohne Augenzwinkern ansehen kann.
Das ist Meuterei! Und am selben Abend,
während aus dem fürchterlichen Nebel noch
ein paarmal das Schiefsen kommt, schreibt er
einen Amtsbericht nach Kuxhaven.
Am Morgen hat der Sturm den Nebel in
schwarze Wolken geprefst, die schnell am
Himmel hinjagen. Als zwischendurch einmal
ein Sonnenschimmer fern auf den weifsen Busch-
sand lällt, sehen sie den Dampfer dunkel davor
liegen. Nun will Ringhoff fahren.
„Geht mich nichts mehr an!“ sagt der
Kapitän, der den Ringhoff noch nicht kennt.
Aber der holt lächelnd seine Jungen und beginnt
die schwerste Fahrt seines Lebens. Zuerst geht
es glatt, so glatt wie es gehen kann in einem
Sturm von Wellen, hinter denen die Windkraft
des Ozeans steht, und noch vor Mittag kommen
sie an den Dampfer heran. Der sitzt schräg
völlig fest im Sand, unrettbar verloren. Aber
so scharf sie spähen: keine Gestalt hebt sich
zwischen den zerstörten Masten und geknickten
Schornsteinen. Sie zwingen das Boot dicht in
den Sturm von Gischt, der an der schwarzen
Schiffswand aufspritzt, sie nehmen die hohlen
Hände an den Mund und rufen. Keine Antwort,
nur der krachende Sturz der Wasser.
Da sind sie gefahren durch hundert Tode,
haben ihre harten Hände wund geprefst an den
Rudern, sind glühend heifs geworden in dem
eisigen Wintersturm. Und nun war alles nur
ein leichter Anfang. Nun müssen sie herum

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