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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Schmidt, Wilhelm: Die dumme Grossmutter
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https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0207

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weine doch nit,“ sagte sie, indem sie sich die
Thränen abwischte, „ich freue mich ja nur.
Weifst du nit, dat die Lichter all für mich
brennen, dat die Leut unten all für mich auf
dem Markt stehn?“
„Für dich, Grofsmutter ?“ Das Kind lächelte
ungläubig.
„Ja, für mich — Sedan, dat ist mein Fest.“
Über ihren schmalen Leib lief ein plötzliches
Zittern, sie stiefs unwillkürlich den Knaben
zurück, um die beengte Brust frei zu bekommen.
Aber dann zog sie ihn gleich wieder an sich,
der sie mit seinen klugen Kinderaugen noch ver-
wunderter ansah, und drückte einen Kufs auf
seine Stirn.
Jetzt verdoppelte sich der Lärm unten. Sol-
daten mit lodernden Fackeln, von denen der
Rauch bis zu ihrem Fenster heraufstieg, kamen
aus der Gasse unten heraus und zogen über den
Platz, von den Menschenmassen verfolgt und
umdrängt. Vor dem Rathaus machten sie Halt
und bildeten einen Kreis.
Und nun wurde es plötzlich still.
Man hörte eine einzelne Stimme, oft stärker,
oft schwächer, je nach der Seite, nach der der
Redner sich drehte.
Die beiden am Fenster hörten nicht, wie die
Thür hinter ihnen sich aufthat und der Vater
ins Zimmer trat — ein grofser, starker Arbeits-

mann in blauem Schurz und rheinischer Kappe.
Er stand einen Augenblick überrascht und ging
dann schnell zum Fenster hin. „Han mir Geld
für dat dumme Zeug da?“ Er machte die Lichter,
schnell eins nach dem andern, mit der flachen
Hand aus. „Lafs andere Leut Lichter anstecken,
wat geht dich dat an?“
Draufsen war es eine Sekunde still geworden,
um dann loszubrechen, mit dem von innen
heraus schlagenden Feuer, wie es nur die glück-
lichen, gesegneten Menschen am Rhein in sich
tragen, unter diesem milden, klaren Nachthimmel,
wie er nur den Menschen am Rhein geschenkt
ist: das dreimalige Hoch auf den Kaiser, Die
Musik fiel ein, die mächtige Musik der Metallinstru-
mente der Bonner Husaren, ein tausendstimmiger
Chor schwang sich mit breiten Flügeln über den
Platz weg, stieg zu den Dächern auf und ver-
flatterte am Himmel droben. An allen Fenstern
sangen die Frauen und die Kinder mit.
Die Alte hatte sich aufgerichtet und die
Hände gefaltet. Ihr Gesicht war mehr als vorher
von dem sonderbaren Lichtschein übergossen,
von dem man nicht wufste, woher er kam.
Bebend öffnete sie die schmalen Lippen, als
wolle sie mit ihrer schwachen Stimme gegen
die Macht der Tausenden ankommen.
Und — was war das? — sie neigte den
Kopf ein paarmal, sie neigte ihn nach allen


Julius Bergmann: Unterwegs.

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