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Römisch-germanisches Korrespondenzblatt: Nachrichten für römisch-germanische Altertumsforschung — 1.1908

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Nr. 5 (Sept. u. Okt.)
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Cannstatt
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https://doi.org/10.11588/diglit.24878#0074

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Ö2

niemand die Verantwortung der bedingungs-
losen Preisgabe des historischen Terrains
für die Ueberbauung auf sich laden.

Am iS. April erreichten die ersten, mit
Mitteln der Stadt vorgenommenen Ausgra-
bungen im Cannstatter Kastell nach sechs
Wochen ihren Abschluss. Wir geben im
folgenden im Anschluss an den ersten Be-
richt über den Fortschritt und die seitherigen
Ergebnisse einen zusammenfassenden Über-
blick.

Auf der Ostseite wurde das Prätorium
mit seinen langgestreckten Seitenflügeln
vollends blossgelegt und zugleich wurde da-
bei festgestellt, dass irgend welche quer
dazu gelegte massiv gebaute Exerzierhalle
nicht vorhanden war. Wegen der geringen
Humusdecke über den Mauern war übrigens
nirgends mehr aufgehendes Mauerwerk an-
zutreffen. Aber auch dessen Fundament,
ein Guss über spitz gestellte Brocken, war
zum Teil ausgerissen. Am besten erhalten
zeigte es sich am nördlichen Abschlussbogen
des Prätoriums, am sogen. Fahnenheiligtum,
das offenbar seiner grösseren Höhe zu lieb
stärker untermauert war. An einigen Stellen
wurden später ins Prätorium eingebaute
Gelasse, aus der Zeit der bürgerlichen Be-
siedlung stammend, so ein rechteckiges, mit
gut erhaltener Umfassungsmauer in der un-
tersten Schicht und sauber gegossenem
dickem Estrich festgestellt. Die von Anfang
an immer wieder, besonders häufig aber
unter den Fundamentresten des Prätoriums
gefundene ältere Kulturschicht, die wir an-
fangs mangels von ganz sicheren Scherben
einer der Erbauung des Steinkastells voraus-
gehenden römischen Erdanlage zuwiesen,
hat dank einem glücklichen Umstand eine
andere, womöglich noch interessantere Auf-
klärung gefunden. Eine Grabung an der
Ostmauer des Kastells, an der auch der
Assistent der Reichslimeskommission, Dr.
Barthel-Freiburg, teilnahm, ergab wenig
nördlich der Porta sinistra denselben dunk-
len, also einer starken Bewohnung ver-
dankten Boden, aber durchsetzt mit zahl-
reichen Scherben und einigen Steinwerk-
zeugen, die der jüngeren Steinzeit,
d. h. dem 3. Jahrtausend v. Chr., zuzuweisen
sind. Gerade hier war deutlich zu erkennen,
dass die Kastellmauer selbst mitten in einen
Graben neolithischer Zeit gesetzt war. Der-
selbe,an verschiedenen Stellen angeschnitten,
hob sich im Profil deutlich von der anderen
helleren, mehr lehmigen oder steindurch-
setzten Erde ab; besonders innerhalb der
Kastellmauer unmittelbar hinter ihr kamen
zahlreiche steinzeitliche Scherben, dabei
auch Feuersteinsplitter, Tierknochen und
ein Steinbeilchen zutage, an anderen Plätzen
bei unserer schichtweisen Abdeckung grös-
sere und kleinere Reste von groben Vor-
ratsgefässen. Diese steinzeitliche Siedlung,
offenbar von einem Spitzgraben umgeben,
gehört dem Typus der Tonscherben nach

zur Pfahlbaugruppe. Längst weiss man,
dass diese einem besonderen Bevölkerungs-
strom angehörige Gruppe sich auch auf dem
Festland verbreitete: auf dem nahen Burg-
holz, vor kurzem in einer Lehmgrube bei
Hoheneck, auf dem Scheuerberg bei Heil-
bronn hat man ihre Spuren entdeckt, vor
allem auf dem Michelsberg in der Nähe
von Untergrombach bei Bruchsal ein ganzes
von einem Spitzgraben umgebenes Dorf,
vermutlich die direkte Parallele zu unserem
Befund. Durch diese überraschende . Ent-
deckung fanden manche seitherigen Rätsel
ihre Erklärung, so die verschiedenen in den
Tuffsand gebohrten Gruben als steinzeit-
liche Wohnungen, die teils im Lauf der
Zeit zugeschwemmt wurden, teils von den
Römern bei Anlage des Kastells noch als
Vertiefungen vorgefunden und aufgefüllt
wurden; für letzteres spricht z. B. der in
einem solchen Loch Vorgefundene früh-
kaiserliche Denar. Endlich ist die. eine und
andere Grube noch in der Kastellzeit be-
wohnt worden: es ist das eine dem Klima
angepasste landesübliche Siedlungsweise.
Zwei solcher Löcher waren mit vielen rö-
mischen Trümmern, darunter einer fast ganz
erhaltenen Amphore, gefüllt.

Um ein genaues Bild von den Anlagen
der Ostfront zu gewinnen, wurde auf dieser
Seite ein grösseres Stück der Umfassungs-
mauer freigelegt und an einer Stelle durch-
schlagen; dadurch gewann man zugleich
ein Profil des vorgelegten Kastellgrabens.
Derselbe ist hier ziemlich schmäler und
auch weniger tief als auf der rechten Flanke
an der Westseite, wo ihn Dr. Kapff 1896
und die Reichslimeskommission 1905 unter-
sucht hatten. Dabei gelang es auch, eine
zurzeit in den Fachkreisen erörterte Frage,
ob hinter der Mauer lagereinwärts ein auf-
gefüllter Wallgang vorhanden gewesen ist,
wie beim Saalburgkastell, zu lösen. Eine
hinter der Mauer festgestellte Kiesbeschot-
terung beweist, dass von Haus aus ein Wall
nicht vorhanden war und auch später nicht
hergestellt worden ist, so wenig als in den
Nachbarkastellen Walheira und Köngen.
Dagegen zeigen sich auch hier, wie in Köngen
und Benningen, in regelmässigen Abständen
von 1,6 m Mauersporen von etwa i'lim Länge
und 0,6 m Breite mit dem doppelten Zweck,
für die Kastellmauer ein Widerlager zu bil-
den und, da sie auch lang genug waren,
einen Wehrgang zu tragen, dessen Balken-
und Bretterwerk wohl auf diesen Stein-
pfeilern ruhte; man kann vermuten, dass der
Raum darunter da und dort, allerdings nicht
an der aufgegrabenen Stelle, die keineWohn-
reste zeigte, durch Baracken oder Kase-
matten ausgenützt war.

Die Hoffnung, zwischen der Porta dextra
und dem Prätorium auf gut erhaltene, grös-
sere, zusammenhängende Gebäudeanlagen
zu stossen, hat sich nicht in dem gewünschten
Mass erfüllt. Da die Bauten von Haus aus
 
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