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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Erstes Heft
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Waldemar George: Vorwort: Zur 93. Sturm-Ausstellung
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Walden, Herwarth: Kritik der vorexpressionistischen Dichtung, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0013

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n’offre point d’autre attrait que celui de
l’exotisme. L’art cubiste de par son de-
pouillement offre un terrain peu propice ä
l’expression des caracteres nationaux. Mais
en tant que Synthese architectonique, il
correspond ä ces nombreuses manifestations
de l’esprit moderne, dont le monde entier
fut au cours de ces dix dernieres annees le
thealre aussi bien dans le domaine des
lettres que dans celui des arts, et de la
musique.
Le cubisme, dont le rayonnement est
aujourd’hui immense, constitue une force
d’attraction ä nulle autre pareille. C’est ä
son ombre que pourra s’operer un jour le
regroupement des energies sacrifiees ä l’autel
de cette criminelle anarchie qui se nomme
l’individualisme.
Veuillez croire, Monsieur le Directeur, ä
mes sentiments de confraternelle Sympathie.
Paris Waldemar George

Kritik der vor^
expressionistischen Dichtung
Herwarth Walden
Fortsetzung
Man prüfe sämtliche Gedichte Goethes und
man wird feststellen müssen, dass sie nicht
durch die Bildung des Künstlers sondern
durch die Bildung des Lesers, also durch
Einbildung wirken. Der Satz „Kennst Du
das Land wo die Citronen blühn“ ist nicht
künstlerischer als der Satz „Kennst Du den
neuen Fall, wo die Massary singt.“ Das
ganze berühmte Gedicht „Mignon“ hat den
Wert und die Wirkung eines Bätsels der
Berliner Illustrierten Zeitung.
Oder man prüfe folgendes Gedicht:
Wenn die Nachtigall Verliebten
Liebevoll ein Liedchen singt,
Das Gefangenen und Betrübten
Nur wie Ach und Wehe klingt:
Lebe wohl Du heilge Schwelle
Wo da wandelt Liebchen traut;
Lebe wohl Du heilge Stelle,
Wo ich sie zuerst geschaut.
Was hilft, was hilft mein Sehnen?
Geliebte wärst Du hier!
In tausend Freudetränen
Verging die Erde mir.

Niemand wird behaupten wollen, dass auch
nur der Versuch einer rythmischen Ge-
staltung des Gefühlswertes dieses Gedichtes
vorliegt. Auch von künstlerischer Gestal-
tung der Wortbeziehungen ist keine Bede.
Es wird nur geredet. In der ersten Strophe
wird von der Nachtigall geredet, deren
Liedchen man je nach dem Stadium der
erotischen Hoffnung als liebevoll oder als
Ach und Wehe hören kann. Der Doppel-
punkt gibt das Stadium. Liebchen traut
ist von der heiligen Schwelle fort, wo sie
da andauernd zu wandeln pflegt. Da hilft,
da hilft kein Sehnen. Die Geliebte hat die
heilige Stelle überschritten und der Dichter
hat das Nachsehen. Sonst wäre die Erde
in tausend Freudentränen vergangen. Der
Leser findet solche Gedichte stimmungs-
voll. Er fühlt sich in die Situation und
in der Situation. Die Wörter Nachtigall,
Schwelle, Freudentränen erregen seine Ein-
bildungskraft. Das Schicksal des Dichters
erinnert ihn an eigne Unglücksfälle. Des-
wegen liest der Mensch auch nur Gedichte,
wenn er in Stimmung ist. Nur die deutsche
Sprache hat das Wort Stimmung. Stimmung
ist der Versuch zur Aufnahme eines Er-
lebnisses. Aus der Verstimmung heraus
wird die Stimmung gesucht. Diese Stim-
mung ist ein Produkt des Zufalls, also
unkünstlerisch. Triebe und Hemmungen
werden willkürlich eingeschaltet oder aus-
geschaltet. Die Niederschrift dieser Ereig-
nisse, nicht etwa die Gestaltung der Erleb-
nisse, nennt der Deutsche Kunst. Deshalb
erkennt er die Kunst an der Stimmung.
Und er fordert von der Kunst Stimmung.
Werden ungereimte Erinnerungen gereimt,
sind sie ihm Gedicht.
Aber der Mensch ist mit der Stimmung
allein nicht zufrieden. Er fordert von der
Kunst Gedanken. Man muss sich etwas
denken können. Und der Leser findet das
angeführte Gedicht schön, weil es in ihm Ge-
danken und Stimmung erregt. Und weil
es von Goethe ist. Mehr noch. Die erste
Strophe ist von Goethe, die zweite von
Heinrich Heine und die dritte von Eduard
Mörike. Und, o Wunder der Kunst, es
reimt sich doch, es gibt eine einheitliche
Stimmung und einen einheitlichen Gedan-
ken. Trotzdem die erste Strophe die sechste
eines Gedichtes, die zweite die zweite und
die dritte die achte ist. Auch an Berühmt-

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