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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 18.1927-1928

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Heft 4/5
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Blümner, Rudolf: Nachtmar
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https://doi.org/10.11588/diglit.47218#0056

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handelt? Ich habe eine Todesangst, daß er
nicht wiederkommt. Mittags läuft schon die
ganze Straße zusammen. Die Familie macht
mich verantwortlich. Sie hängen alle an mei-
nem Sohn. Sie wissen genau, daß er nicht
mehr wächst. Es ist so aussichtslos, daß
jemals etwas Rechtes aus ihm werden kann.
Zeitlebens schleppt man sich mit dem Wech-
selbalg herum. Es ist zwar keine Schande,
aber auch keine besondere Ehre. So ganz
genau weiß man doch nicht, wo er her-
kommt.
Am Mittag rotten sich einige auf der Straße.
Es geht von Mund zu Mund: „Dem Doktor
sein Kobold ist weg.“ Endlich fällt irgendwo
das Wort Mord. Geht auch von Mund zu
Mund. Man benachrichtigt die Polizei. Gleich
kommt einer und nimmt ein Protokoll auf.
Ich bin dringend verdächtig. Ich behaupte,
mein Kobold habe mich freiwillig verlassen.
Der Kriminalbeamte lächelt: „Das Märchen
kennen wir schon. Haben Sie gehört, Kol-
lege? Freiwillig! Ihr Kobold! Wie sah er
denn aus? Aha. Bleiben Sie ruhig im Bett
liegen. Wir wollen uns inzwischen mal etwas
im Zimmer umsehen.“ Da ist auch schon
wieder die Person, die dieses widerliche
Scheusal zur Schande der Familie geboren
hat. Diese Heuchlerin, die ich kaum kenne.
Und das ist noch ein Glück. Die Heuchle-
rin. Sie freut sich, daß der Kobold weg ist.
Aber jetzt heult sie Wasserbäche und be-
schimpft mich. Ich sage zu den Polizisten:
„Er muß noch irgendwo im Zimmer sein.“
Ich erzähle, wie ich ihn von Bein zu Bein
geschafft habe. Ich berufe mich auf meine
Pflicht, die ich kenne. Ich erinnere an viele
Beispiele, daß ich in ähnlichen Fällen auch
nichts Böses getan habe. Man kennt mich,
sage ich. Ich berufe mich auf gute Freunde,
die über meinen Leumund aussagen sollen.
Niemals, so würden alle versichern, werden
wir ihm zutrauen, daß er seinen Kobold ab-
sichtlich beseitigt hat. Einer sagt: „Bei ihm
darf man sich einer solchen Tat nicht ver-
sehen.“ „Ich glaube bestimmt,“ gibt ein an-

derer zu Protokoll, „daß der Kobold sich fin-
den wird. Vielleicht sitzt er heute abend
schon wieder ganz gemütlich auf seinem
Bein.“ Wenn es gar zu einer Gerichtsver-
handlung kommt. Ich wäre ruiniert. Frei-
lich höchstens ein Indizienbeweis. Der Ko-
bold kann sich etwas getan haben. Er ist
ein wilder Bursche. Als ich ihn anfaßte und
vom linken Bein wegnehmen wollte, hat er
mir sogar einen Klaps versetzt. Er ist im-
stande, sich selbst etwas anzutun, um mich
hineinzulegen. Zum mindesten ist er fähig,
sich zu verbergen, um mich weich zu machen,
damit ich ihn in Zukunft sitzen lasse, wo er
sitzen will. Die Verhandlung müßte das alles
ergeben, wenn nicht die Mutter, dieses graue
Scheusal, so affenmäßig verliebt in ihn wäre.
„Grade weil er so klein ist, liebe ich ihn. Er
war so hilflos. Und keine Aussicht, daß er
je größer werde. Ganz darauf angewiesen,
auf dem Vater zu leben, der sich auch dazu
verpflichtet hatte. Und jetzt ist er vielleicht
tot, zertreten.“ Alle Richter weinen. Es geht
eine Bewegung durch das Publikum. Meine
Sache steht nicht gut. O, dieser Sohn! Ich
wollte, ich hätte ihn wieder. Ich werde mich
ganz nackt aufdecken. Er soll sehen, daß ich
alles bereue. Er soll sich setzen dürfen, wohin
er will. Er darf auch treiben, was er will,
wenn er nur wiederkommt, wenn ihm nur
kein Unglück zugestoßen ist. Ich höre die
Mutter schon wieder schimpfen. Jetzt hat
sie auch die Schwiegermutter mitgebracht.
„Wo ist der Kobold?“ schreien sie gleich-
zeitig. „Er ist,“ stöhne ich, „er ist nur einen
Augenblick fort. Er lebt bestimmt und er
kommt wieder.“ „Koboldchen,“ rufen sie,
„Koboldchen“. Aus der Ecke ruft etwas.
Keine Feder kann es schreiben, kein Drucker
kann es setzen. Es ist ein ä-Laut und davor
ein K oder ein Q, ich kanns nicht unter-
scheiden. Es hört sich scheußlich an. Wie
ein Vorwurf, eine Anklage und eine Bitte.
K—ä oder Q—ä. Und das heißt: „Da liegt
der infame Vater, der mich nicht sitzen las-
sen will, wo es mir gefällt. Angefaßt hat er

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