Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Südwestdeutsche Rundschau: Halbmonatsschrift für deutsche Art und Kunst — 2.1902

DOI Artikel:
Gaulke, Johannes: Die Ansichten einer ästhetischen Kultur
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12736#0264

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
234

Don Caufenben retdjltd) aufgeroogen merben. Das (Befetj doti 6er RusmabJ
6er IEüd)tigften redjtfertigt biefen (Bebanfengang — aber nur fdjeinbar.

Stellen mir uns einmal oor, bafo gerabe öer Cüd)tigfte 3roifcf/en bie
tTTürjIfteine bes £ebe-ns gerät. IDer mollte biefe tTTöglidjf eit ableugnen! IDiffen
mir bod} aus ber (Erfahrung, öafe oft nur öurd) einen 3ufaII bas (Benie ent-
bedt roirb. (Es mag in ber TEfjat meb,r (Benies geben, als mir uns aud} nur
träumen laffen, unb rnelletdjt finb bie offisiell anerfannten nid)t immer bie
bebeutenbften. Die fluslefe gefd)iel)t meiftens nad) gan3 anberen (Befe^en
als bie CEjeorie fie auffteltt. (Eine Kraftnatur getjt im Kinbesalter austttangel
an Subftften3mitieln 3U (Brunbe, mäfjrenb ein Krüppel unter Aufgebot aller
mittel fünftlid) am £eben erhalten roirb. 3e meiter mir uns nom ITatur-
3uftanb entfernen, je tompIi3terter bie £ebensbebingungen merben, um fo
t)äufiger nerfagt bas (Befet} oon ber Rusmaf)! ber {Eüd)tigften; nid)t feiten
mirb es aud) in bas gerabe (Begenteil umgefefjrt. (Es giebt unwägbare (Ein-
flüffe unb 3ufälligfeiten, 3mponberabiIien, bie mir nid)t aus ber IDelt fdmffen
fönnen, oon benen mir aber unter allen Umfiänben abhängig jinb. IDarum
[teilt benn bie ttatur fo I)äufig einen (Efel an bie Stelle, roorjin ein £öroe
getjört? —

ITtögen mir es nun Kultur ober fonftmie nennen, erftrebensroert ift nur
ein 3uftanb ber Dinge, ber jebem bie TttöglicEjfeit gemäfyrt, fid) inbirnbuell
aus3uleben, ot)ne jebod) in bie 3ntereffenfpl)ären ber anberen eurjubringen.
Die Kultur ber (Begenmart, bie id) fur3meg nad) bem fie beb,errfdjenben ö!ono-
mifdjen (Befetj als bie fapitaliftifdje beseidme, erfüllt biefe Dorbebingung nidjt,
fie frnt einen tiefen (Begenfai} 3roifd)en ben 3ntereffen ber (Ein3elnen unb benen
ber (Befellfdmft erridjtet. Sie fjat (Befetje unb ttormen aufgeftellt — felbft
eine Horm bes Deutens! — orme 3U beriktfidjtigen, bafj basjenige, mas für
ben 3ntelleft unb bie £ebensbe3ieb,ungen bes einen nüijlid) ift, es nod) lange
nidjt für bie bes anbern ift. Die (Befellfdmft I?at bem (Eisernen Pflichten
(u. a. bie Dienftpflid)t) auferlegt, bie im fdjärfften (Begenfat} 3U feinen 3nter-
effen ftefjen. (Es ift bies einer ber fdjroerften (Eingriffe in bie Redjte öes
(Ein3elnen. Denn es mirb ber tftenfd] immer nur bie Pflid)t, bie er fid) felbft
auferlegt, mit £reuben erfüllen; alle (Eingriffe oon aufjen mirb er bagegen
ftets als eine fernere Beläftigung empfinben.

Die Kultur ber tapttaliftifcben (Befellfdjaft gemäfjrt ber inbioibuellen
(Entroicflung nur einen geringen Spielraum, fie fcfyafft Berufsmenfdien unb
tötet ben UTenfdjen an fid). Die Spe3talifierung ber Arbeit unb bes Deutens
ift ber 5luc&, nnferer 3eit. Der Jjort3ont bes Beruf smenfdien ift befdjränft
unb fein 3beenfreis eingeengt. Die einfettige Arbeit ertötet in irjm ben Sinn
für ITTenfdjenmürbe, (Bröfoe unb Sdjönfjeit. Das Perfönlidjfeitsgefür/I gelangt
— menn überhaupt nod) Spuren banon im Keime uorf/anben finb — faum
3ur (Entmidelung. Die Ijeranmadjfenbe 3u9ert0 ro'rö nt<i)t für bas £eben
er3ogen, um einft an ber allgemeinen Kulturarbeit mitmirfen 3U tonnen,
 
Annotationen