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VI. JAHRGANG, Nr. 32

D I E


7 AUGUST 1932

ART./rfeWORLD ILLUSTRIERTE WOCHENSCHRIFT

LMONDErfoAKß


ÖAS INTERNATIONALE ZENTRALORGAN FÜR KUNST / BUCH / ALLE SAMMELGEBIETE UND IHREN MARKT

^scheint jeden Sonntag im Wei t ku n s t-Verl a g , G. m. b. H.,
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reich und Belgien fr. Frs. 35; Holland hfl. 3,25; Schweiz und die nicht ange-
führten Länder sfrs. 7; Übersee $ 1,50; Sammelmappen pro Jahrgang Mk. 4,50

WERTHEIM-BIBLOGRAPHIKON
Inh. Dr. Hans Wertheim Alte Graphik / Gotik bis Biedermeier Berlin W9, Lennestr. 7. Lützow 4512

Versteigerung — Vente

BRUMMER

NEW-YORK

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INC

55, East 57th Street

logischen Elternhauses und ein dem jungen Justi
nur halbbewußter Zug zu allem Prophetischen
hin wies ihn auf die Bahn des theologischen
Studiums, die ja auch ein anderer großer Ge-
schichtsschreiber der Kunst, Jacob Burckhardt,
beschritten hatte. Beide schlüpften aus dem
Talar der Pfarramtskandidaten. Justi entrann.

dann interessant sind, wenn sie sich zu Roman-
figuren verfälschen lassen. Ein protestanti-
sches Pfarrhaus, erfüllt vom humanen Geiste
der Goethezeit, umschließt Justis Kinderjahre,
Vater, Großvater, Onkel, lauter gelehrte Män-
ner, denen es selbstverständlich war, in die
Knabenhände Plato und Goldoni, Alfieri und
althebräische Poesie zu legen. Rings um die
Bücherwelt aber das malerische Bild der alten
Berg- und Schloßstadt Marburg, deren Denk-
mäler zu lieben und zu erforschen zur Familien-
überlieferung gehörte. Die Tradition des theo-

Hirschfänger
aus dem Besitze Friedrichs d. Gr. (Detail)
Collection Graf Erbach, Erbach i. Odenwald
Kat. Nr. 6
Versteigerung — Vente — Sale:
Galerie Fischer, Luzern, 6.—7. September 1932

Justi hing sein Herz an die
Weder die unpersönliche
„Kunstgeschichte ohne Na-
locken, noch die kleineren

Kopf eines Königs. Aegypten, 7./6. Jahrh. v. Chr.
Schiefer, H. 12 cm — Coll. Dr. F. Burgers, Schloß Malagny a. Genfersee
Kat. Nr. 311
Sale: Galerie Fischer, Luzern, 25.—26. August 1932

Summe seiner eigenen geistigen Existenz ge-
zogen. Aus Wissen ist Weisheit, aus Kunde ist
Deutung geworden. Das letzte Ziel dieser Rie-
senarbeit war, des Inkommensurablen eines
Genies habhaft zu werden. Hochgefühl und De-
pression, Zartheit und Gewaltsamkeit, Kühn-
heit, Zaudern, Konzentration und Zerrissenheit,
für alle diese Zustände des künstlerisch
schöpferischen Menschen fand Justi das feinste
Verständnis, für die gedanklichen und techni-
schen Probleme Michelangelos gab er die tief-
sten Deutungen. Auf das Michelangelo-Buch
paßt Justis Wort: „Wer die Schule des Lebens
und der Leidenschaft nicht durchgemacht hat,
dem wird trotz grammatischer und historischer
Gründlichkeit Shakespeare ein verschlossenes
Buch bleiben.“
Allen drei Hauptwerken Justis, um die sich
ein ganzer Kranz von 180 Nebenarbeiten rankt,
sind zwei Grundfragestellungen gemeinsam.

Das schönste Denkmal eines Gelehrten sind
?Gne Bücher. Das bloß gelehrte Buch veraltet
’n dem Maße, wie die Wissenschaft fortschrei-
Bücher aber, die nicht nur Wissen, sondern
Weisheit bergen, Bücher, die nicht nur Stoff
^breiten, sondern Stoff formen, gehen in das
Schrifttum der Nation über; sie haben als lite-
rarische Werke noch Bestand, wenn sie als
Fachschriften schon überholt sind.
Wer heute Justis große Bücher über
Winckelmann, über Velasquez und über Michel-
angelo in die Hand nimmt, erfährt aus diesen

in die freieren Gefilde der Philosophie. Um
Platos Gestirn kreiste sein erstes selbständiges
Forschen. Aber es ging noch einen Schritt
weiter: durch die Tür der platonischen Ästhe-
tik betrat der junge Dozent der Philosophie
den Bildersaal der Kunst, er wurde Professor
der Kunstgeschichte und war damit am äuße-
ren Zielpunkt seiner Lebensbahn angelangt.
Auch im Hause der Kunstgeschichte gibt es
viele Wohnungen.
großen Menschen.
Stilgeschichte, die
men“, konnte ihn
Spieler und die anonymen Statisten auf der
Bühne der Kunstgeschichte. Justis Hauptwerke
sind große Monographien, seine Methode ist
individual-psychologisch.
Justis Ruhm ruht auf drei Pfeilern: auf den
Werken, die Winckelmann, Velasquez und
Michelangelo geweiht sind. In der Gestalt des
großen Deutschen, der zum Vater der moder-
nen Archäologie wurde, in Winckelmann, spie-
gelt sich Kunst und Kultur des 18. Jahrhun-
derts. Die Figur des größten spanischen Ma-
lers Velasquez hebt sich ab vor dem Hinter-
gründe des 17. Jahrhunderts, in dem Genie des
Italieners Michelangelo faßt sich Kunst und
Philosophie des 16. Jahrhunderts zusammen.
Jedes Glied dieser Trilogie von Meisterbüchern
vertritt eine Etappe der Entwicklung Justis,
jedes erschließt einen Sonderkreis wissenschaft-
licher und künstlerischer Probleme; alle drei
bezeichnen den Stufenbau der kunstwissen-
schaftlichen Erkenntnis ini der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts. Justis Winckelmann-Buch ist
das Denkmal, das die deutsche Kunstwissen-
schaft ihrem Columbus gesetzt hat, der eine
neue Welt, die Welt der antiken Kunst, ent-
deckt und für die deutsche Bildung erobert hat.
Darüber hinaus ist Justis Buch das hohe Lied
von der Macht des Gelehrten, um den sich
eine Welt des Geistes bewegt. Ein Stück
vom Winckelmann-Schicksal fühlte auch Justi
in der eigenen. Brust. Auch für ihn wurde Ita-
lien zur Befreierin, zum augenöffnenden Lande,
zur entscheidenden Lebenswende. Freilich war
es noch Winckelmanns Italien, das Justi in
Bibliotheken, Archiven, Kirchen und Palästen
fand.
Vor einem Kunstwerk einer italienischen
Privatgalerie konzipierte Justi die Idee zu sei-
nem zweiten großen Werke, dem Velasquez.
Der Anblick des Bildnisses des Papstes Inno-
cenz X. von Velasquez in der Galerie Doria in
Rom — das einzige Bild in Rom, das die Reise
lohnt, wie mit paradoxem Witz Liebermann
einmal gesagt hat —- regte Justi an, dem
Leben und Schaffen des großen Spaniers nach-
zugehen. Die Wahl dieses Themas war ein
genialer Griff. Das Buch erschien im psycholo-
gischen Moment, als der europäische Impres-
sionismus seinen Ahnherrn suchte und in Ve-
lasquez fand. Das Winckelmann-Buch enthält
eine ganze Kulturgeschichte des 18. Jahrhun-
derts, der Velasquez umfaßt die malerischen
Probleme, die das 17. Jahrhundert beschäftig-
ten. Der genialste Maler Spaniens wird von
Justi zugleich als das spanischste Malergenie
erkannt, in dem die Nation ihr eigenstes Selbst
und ihr besseres Selbst wiedererkennt. Auch
für diesen Helden eines seiner bedeutendsten
Werke empfand Justi geheime Sympathie: das
Nüchterne, Positive, das Sachlich-Kühle in der
Natur des Spaniers berührten ihn verwandt.
In den beiden Bänden von Beiträgen zur
Michelangelo-Forschung gab Justi seine dritte
Meisterleistung als Geschichtsschreiber und als
Kunstphilosoph. Dieses Buch hat der Wiener
Kunstgelehrte W i c k h o f f die psychologisch
am tiefsten begründete Darstellung genannt,
die ein Künstler jemals erfuhr. Justi hat die

CARL JUSTI Zum 1OO. Geburtstag
^On Wilhelm Waetzoldt

^igelo in die Hand nimmt,
v°r Jahrzehnten er¬
schienenen Werken
Jber das Wesen der
Jurist und über das
Wesen des Künstler-
tu»is immer noch mehr
aus zahlreichen Ar¬
beiten der Tagespro¬
duktion.
. In Westdeutschland
neben dem Werk
jUstis noch die Erinne¬
rung an seine Person
cbendig; Kollegen,
Schiller, Freunde, Mit¬
bürger entsinnen sich
?‘:s Ehrenbürgers der
Wdt Bonn, des — in
bfahrheit einsamen —
Gannes, der von 1872
, s 1912 zu den bekann¬
tsten Gestalten der an
vaginalen reichen rhei-
’schen Universitäts¬
stadt gehört hat. Daß
„tbizen vor seinem Ka¬
uder saßen, daß der
■Uden Pour le merite
11 zierte, daß Ehren
Wissenschaft auf
gehäuft wurden, hat
jjlt Justis persönlicher
."-deutung wenig zu
’U. Um ihn lag -
j, Urnückender als der
’fyS’fessorentalar — die
Vürde des geistigen
(j 6Uschen. Der Zauber,
von seiner stillen
Im Son ausging, war be-
^?ter als der Mund
^Uzender akademi-
Redner. Justi las
kj . eg nur .vor einem
ttAlnen Schülerkreis
I ? wurde doch der
6r einer ganzen
^geschichtlichen Ge-
^Ution. Er zog sich
*n seine Klause
K um vom Schreib¬
en aus in diewissen-
^/Ftliche Weite zu wir-
■ Sein Tagesleben spielte sich in streng ge-
n’ kleinbürgerlichen Formen ab, als rei-
Gelehrter aber war er zu Hause in den
>^een, Palästen, Kirchen, Bibliotheken, Archi-
jbnd Privatgalerien Europas.
Ustis Vita ist rasch erzählt: nichts für jene
^raphienschreiber, denen ihre Helden erst
 
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