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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Kleinschmidt, Beda: Der mittelalterliche Tragaltar, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0037

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1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

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15. Die Verklärung. 16. Ehebrecherin. 17. Der
Blinde am Wege. 18. Die Sünderin Maria
Magdalena. — Die einzelnen, von Inschriften
begleiteten Darstellungen sind durch runde
Säulchen voneinander getrennt, jede Platte hat
drei bis vier und mehr Figuren. Oberhalb der
figuralen Darstellung zieht sich eine ornamentale
Verzierung aus sorgfältig gearbeiteten Blumen-
gewinden hin. Die Elfenbeinarbeiten mit ihren
tief geschnitzten Figuren machen in ihrer
Ganzheit einen durchaus harmonischen und
fast klassischen Eindruck. Man möchte bei-
nahe annehmen, der Schnitzer habe altklas-
sische Arbeiten gesehen. Ob das Portatile in
Namur oder in Deutschland entstanden ist,
läfst sich schwerlich entscheiden. Das vor-
treffliche Werk verdankt dem XII. Jahrh. seine
Entstehung und wird mit Unrecht von man-

dene Portatilia, welche dieser späteren Epoche
ihre Entstehung verdanken. Hierzu rechnen
wir an erster Stelle die beiden, mit Elfenbein-
platten verzierten Schreinaltärchen im Stifte
Melk (Niederösterreich), von denen das ältere
(31 x 17 X 14 cm) um so wertvoller ist, weil
sich seine Entstehungszeit ziemlich genau fest-
stellen läfst. Es hat als Altarstein einen
Serpentin, der von zwei Silberbänden einge-
fafst ist, zwischen denen sich eine schmale
Elfenbeinplatte befindet. Auf dem ersten
Silberbande stehen in Uncialschrift die Worte:
Da sumenda nobis et Clemens Sacra cruoris
Jesu Christe tut misteria corporis. Nach einer
verstümmelten Inschrift des zweiten Silber-
bandes ist Shwanehild, Gemahlin Ernst
des Tapfern (1056—1075) aus dem Hause
Babenberg, Stifterin des Tragaltares. Die

Abb. 4. Tragaltar im Domschatz zu Hildesheim.

chen bis ins VIII. oder gar VII. Jahrh. hin-
aufgerückt. 120)

Wenden wir uns nach der Beschreibung
dieser im Rheinlande oder doch in seinen
Grenzländern entstandenen Arbeiten dem
Süden zu, wo der Name des St. Gallener
Mönches Tutilo (t 912) an eine in der Schweiz
und in Österreich blühende Elfenbeinschnitz-
schule erinnert, deren Nachblüte ins XI. und
XII. Jahrh. fällt, so finden wir hier verschie-

m) Abbild. Reusens, »Arche'ologiec I, 435.
vergl. ferner West wo od 1. c. p. 420. Notice sur
la cathedrale de Namur par un membre de clerge'
»ttache" a cette dglise, Namur 1851, p. 25- Aigret,
»Histoire de l'art industrielt. Bruxelles 1888. Cata-
logue officiel sur la direction du chan. Reusens
Nr- 142, wo man die Elfenbeinarbeiten für das
"I. oder VII. Jahrh. in Anspruch nehmen möchte,
"-orblet, »Histoire du sacrament de l'Eucharistie«
(Paris 1886) II, 218. Marshai, »La sculptures et
les chefs d'cevres de l'orfrevrerie Belgesc (Bruxelles
]895) U8, wo das Werk richtig dem XII. Jahrh.
z»geschrieben wiid.

Elbenbeinreliefs des Deckels zeigen an den
Schmalseiten je zwei schwebende Engel, die
mit beiden Händen einen Kranz halten, in
dem einen befindet sich das Lamm Gottes,
in dem anderen die segnende, auf einem
Kreuz liegende Hand Gottes. An den Lang-
seiten des Steines sehen wir die vier Evange-
listensymbole, vier Seraphim und die Apostel
Petrus und Jakobus. Die Figuren sind von
kurzer und gedrungener Gestalt. Auf den
Seitenflächen des Altars ist des Heilandes
Leben in wenigen Zügen veranschaulicht. Die
Erzählung beginnt, wie fast immer, mit der
Verkündigung, fährt fort mit dem Besuche bei
Elisabeth, es folgen Geburt, Verkündigung der
frohen Botschaft bei den Hirten, Anbetung
der Magier, Wiederfindung des Kindes im
Tempel, Taufe Christi, Einzug in Jerusalem,

'*') Vergl. Mantuani, »Tutilo und die Elfen-
beinschnitzerei am Evangelium longum« (Strasburg
1900) 38 ff. und besonders Rahn, »Geschichte der
bildenden Künste in der Schweiz« (Zarich 1876) 111 ff.
 
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