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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Cremer, Franz Gerhard: Zur Darstellung des Nackten in der bildenden Kunst und die Modellfrage, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0042

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51

1904.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

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Inachtnahme alles dessen, was gute Sitte er-
heischt. Da aber die Verwendung des hierbei
erforderlichen lebenden Modells ihre sehr be-
denklichen Seiten hat und selbst grofse Ge-
fahren naherückt, da es sich dabei nicht —
mit Hyrtl zu sprechen — um die cadaverum
sordes der Seziersäle handelt, so wird es ge-
wifs von vielen Seiten dankbar begrüfst werden,
wenn wir über die in weiteren Kreisen sich
geltend machenden Befürchtungen hinwegzu-
helfen suchen.

Die zunächst ganz allgemein gehaltene
Stellungnahme zur Darstellung des Nackten in
der Kunst zu bestimmen, wird uns wesentlich
erleichtert, wenn wir uns vor allem darüber
Gewifsheit verschaffen, wie sich das Heiden-
tum (das klassische Altertum), zu dieser Frage
gestellt hat.

Karl Otfried Müller, dem wir das treffliche
„Handbuch der Archäologie der Kunst" ver-
danken, welches ein Friedrich Gottlieb Welcker
einer Überarbeitung und Neuausgabe nicht un-
wert fand, mag hier zunächst gehört werden,
weil er in diesem Punkte von allen Parteien
als einwandfrei betrachtet werden wird. — Er
sagt: „. . . . So verbreitet jedoch das Gefühl
und der Enthusiasmus für die Schönheit des
Körpers an sich war, und so sehr die Künstler
die Gelegenheit zu solcher Darstellung suchten:
so selten wurde doch diese Gelegenheit will-
kürlich herbeigeführt, so wenig rifs sich der
Künstler vom Leben los, dessen bestimmte
Sitten und Einrichtungen bei der Bildung der

Kunstformen Beachtung verlangten......"

Die völlige Nacktheit kam zuerst bei den gym-
nischen Übungen in Kreta und Lacedämon auf
— wie der geschätzte Autor im weiteren be-
merkt. — Olympias 15 verliert Orsippos von
Megara im Stadion zu Olympion den Schurz
durch Zufall und wird dadurch Sieger; Akan-
thos von Lacedämon tritt nun im Diaulos
gleich vom Anfang nackt auf, und für die
Läufer ward es seitdem Gesetz. Bei anderen
Athleten war die völlige Nacktheit noch nicht
lange vor Thucydides aufgekommen. (S. Boeckh
C. I. I. p. 554.) Bei den Barbaren, besonders
Asiens, blieb der Schurz; hier war es auch für
Männer schimpflich, nackt gesehen zu werden
(Herod. I. 10) . . . ., dagegen war die Ent-
kleidung des ausgebildeten weiblichen Körpers
in der Kunst lange unerhört und bedurfte, als
sie aufkam, doch zuerst auch einer Anknüp-

fung an das Leben; man dachte stets dabei an
das Bad, bis sich die Augen gewöhnten, die
Vorstellung auch ohne diese Rechtfertigung
hinzunehmen. . . ."

Direkte Zeugnisse für die Auffassung der
Alten sind die folgenden, gewifs sehr bezeich-
nenden Stellen aus der griechischen Anthologie ;
es sind zwei Epigramme Piatons auf das
Aphrodite-Bild zu Knidos. B. III, X, heifst es:

„Kypria, sehend in Knidos die Kypria, redete also:
■ Wehe, wo war's, dafs Mich nacket Praxiteles sah?"

Und unter IX. lesen wir die Worte:

Nicht Praxiteles sah, was Frevel ist;....."

Wegen seiner wenig christenfreundlichen
Gesinnung ist hier besonders des unter Sep-
timius Severus und Caracalla lebenden Philo-
stratos des Älteren zu gedenken, den die
Gemahlin des Severus, Julia Domna, in
ihre gelehrte Umgebung aufnahm. — Im
6. Buche seines „Leben des Apollonius von
Tyana" lesen wir: „. . . Du hast auf Gemälden
den Herakles des Prodikus gesehen, wie der
Jüngling noch nicht seinen Lebensweg gewählt
hat, und wie sich Wollust und Tugend um ihn
streiten etc." — Die Wollust zeigt die Tracht
und den Putz der Hetären, die der Tugend
soll an die arbeitsame Hausfrau erinnern:

„.....auch unbeschuht ist die Tugend und

ihre Kleidung einfach"; sagt er, „sie würde
nackt erscheinen, wenn sie nicht den weib-
lichen Anstand kannte. . . ."

Und Cebes, der Thebaner, nach Plato und
Diogenes von Laerte ein Schüler des Sokrates,
geht in seiner Darstellung des menschlichen
Lebens im „Aufstieg zur Glückselig-
keit", einem äufserst anmutig und reich ge-
stalteten Gemälde, noch weiter, so zwar, dafs
wir eigentlich die ganze Beschreibung Wort
für Wort hierher setzen möchten. Doch ver-
suchen wir, wenn auch in knappester Form,
wenigstens das Wesentlichste zu bieten. — Am
Eingange eines Gehäges, welches weitere Um-
friedigungen und Räumlichkeiten, landschaftlich
glücklich verbunden, umschliefst, harrt ein
Genius, den Eintretenden gute Lehren fürs
Leben zu geben. Doch bald schon begegnen
diesen die Verführung, welche ihnen den
Taumeltrank reicht, und der Irrtum, welcher
Täuschung und Unwissenheit zu kosten gibt.
Viele derer, die eingetreten, und welche schon
 
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