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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Halm, Philipp Maria: Zur marianischen Symbolik des späteren Mittelalters, [1]: Defensoria inviolatae virginitatis b. Mariae
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0083

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1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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das Münster von Strafsburg in einem Fries
des Nordturmes. Dort sind die oben er-
wähnten vier Szenen eingereiht in eine Anzahl
anderer, die dem alten Testament entnom-
men sind, wie die eherne Schlange, Isaaks
Opferung, die Jonaslegende, deren typologi-
sche Auffassung und Deutung allgemein be-
kannt und geläufig ist. In diesem Zusammen-
hange kann kein Zweifel bestehen, dafs die ge-
wohnte, oben dargelegte Deutung auch für die
Physiologus-Szenen des Strafsburger Münsters
anzuwenden ist.9) Am beliebtesten war offen-
bar das Sinnbild des Löwen, der seine Jungen
weckt. Dies begegnet uns, um nur noch
einige Beispiele zu nennen, an der einen
Wange des Chorgestühls im Peterschor des
Domes zu Bamberg aus dem XIV. Jahrh. Das-
selbe Thema behandeltein wenigjüngeres.bisher
nicht genügend beachtetes Steinrelief an dem
Hause Tal Nr. 1 in München, das wegen dieses
plastischen Schmuckes eine Zeit lang fälsch-
lich als Residenz Herzog Heinrichs des Löwen,
des Stadterweiterers, angesehen wurde. Es ist
kein Grund vorhanden, in diesen beiden Fällen
andere Deutungen zu suchen. Auch an
Werken der Kleinkunst findet sich die Szene,
so z. B. im Fufse eines Ciboriums des Stiftes
Klosterneubürg, das dem XIV. Jahrh. ange-
hört, I0) und an der bekannten Rotula von
Kremsmünster. An dieser ist aufs klarste die
Deutung dadurch gegeben, dafs dem Qua-
dranten mit der Löwengruppe der Quadrant
darüber mit einer Darstellung der Auferstehung
Christi entspricht.")

Eine gröfsere Serie der Sinnbilder aus dem
XIV. Jahrh. hat sich auch noch im Kreuzgang
des Zisterzienser-Klosters Neuberg in Steyer-
mark12) erhalten, dessen Gewölbekonsolen die
Bilder des Löwen, des Pelikans, des Phönix, des
Einhorns und des Hirsches, der nach den
Worten des Physiologus die Gestalt des
Büfsenden darstellt, tragen. Diesen Gleich-
nissen stehen ähnlich wie an dem Friese des
Strafsburger Domes Sirenen und Zentauren

9) »Revue archeologique« X, (1854). S. 591 und
648. .Melanges d'Archeologie« VIII. (1874). S. 150.

,0) »Mitteilungen der k. k. Zcnlralkommission«
XVIII, (187a), S. 158 und 160 und Taf. VII und
VI, (1861), S. 66 und Taf. II.

*') Weitere Darstellungen nennt Heider in den
»Mitteilungen der k k. Zentralkommission« 1,(1856),
S. 85.

,al »Mitteilungen der k. k. Zentralkommission«
I, (1856), S, 8.

als Verkörperungen der Sünde und Versuchung
gegenüber. Am umfassendsten vielleicht be-
handelt die Deutung dieser Tierbilder ein
Pariser sog. Bestiarium,13) indem es zu der
Darstellung des Tieres zugleich die ent-
sprechende christliche Parallele im Bilde gibt.
Heidernun, dem wirmanchegeistvolleUnter-
suchung über derartige Bildwerke und auch jene
des Neuberger Kreuzganges verdanken, hat
im Anschlufs an deren Erklärung bereits i.J. 185G
die Behauptung aufgestellt, dafs die ursprüng-
liche Deutung solcher Gebilde allmählich
verlassen wurde und dafs der im XIV. Jahrh.
zu gröfserer Blüte gelangte Marienkultus sich
dieser dem Physiologus entnommenen Selt-
samkeiten in anderem Sinne bediente. Wir
lassen hier die Schlufsbemerkung Heiders, die
für die Deutung mittelalterlicher Bildwerke
höchst schätzenswert ist, im Wortlaut folgen,
zumal sie geeignet ist, uns zwanglos in unserer
Untersuchung fortschreiten zu lassen. Heider
schreibt: „Die Bedeutung dieser Symbole ist
eine fast durch Jahrhunderte feststehende,
wenigstens auf dem Gebiete der bildenden
Künste.....Erweiterungen und Umgestal-
tungen machten sich zuerst auf dem Gebiete
dichterischen Schöpfens geltend, welches schon
frühzeitig eine selbständigere Stellung zu
behaupten begann.....Eine Reihe mittel-
alterlicher Dichter hat sich dieser Symbole
zu Kunstgestaltungen bedient, ist dabei je-
doch von jener strengen Deutung abgegangen,
welche ihnen der Physiologus zuschrieb. Der
zur höchsten Blüte gelangte Marienkultus
mufste die Dichtkunst bestimmen, sich nach
Symbolen umzusehen, welche geeignet wären,
die tiefen Wunder zu fassen, mit denen das
Leben Marias durchflochten ist. So geschah
es, dafs die früheren Symbole aus ihrer strengen
Umrahmung herausgezogen und zur Versinn-
Iichung der auf Maria bezüglichen Geheim-
lehren benützt wurden. Diesem von der
Dichtung gegebenen Anlasse folgten, wenn-
gleich zögernd, die bildenden Künste.....

Der Löwe, der Pelikan, der Phönix, das Ein-
horn und ein Reihe anderer Sinnbilder, die
bisher ausschliefslich auf Christus bezogen
wurden, werden nunmehr auf die unbefleckte
Empfängnis Maria13) angewendet. Hierbei
tritt der nähere Bezug des Symbols zum Gegen-

13) Richtiger gesagt: „auf die jungfräuliche Mutter-
schaft".
 
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