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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Halm, Philipp Maria: Zur marianischen Symbolik des späteren Mittelalters, [3]: Defensoria inviolatae virginitatis b. Mariae
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0137

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209

1904.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

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tung nach der einen oder anderen Seite der Kindheit Jesu, die aus zwei Straufsen-
kann jeweils richtig nur aus dem Zusammen- eiern einen Löwen und ein Lamm entstehen
hange mit andern Bildwerken gewonnen wer- läfst, verlockt, die Lücke in dieser Wange mit
den. Unter Beziehung auf das erste Wangen- dem Gotteslamm auszufüllen,
paar deuten wir den Löwen hier als Christum, Dem Löwen und dem Lamme (bezw.
den aus der Jungfrau geborenen Gottessohn. Hirsche) stellt die korrespondierende Wange
Ohne damit irgend welche Verbindungen kon- (Abb. 8) einen Greif und einen Steinbock
struieren zu wollen, sei hier einer alten deut- an die Seite. Aufserordentlich schwierig er-
sehen Legende von der Kindheit Christi ge- scheint die Deutung des Greifen. Der Physio-
dacht, nach der den hl. drei Königen in der logus nennt ihn ein starkes Tier, das den
Christnacht ein besonderes Zeichen widerfahren Menschen feind sei; in diesem Sinne fafst
sei. Damals hätte derStraufs (!),

den einer der hl. drei Kö-
nige (Kaspar) nach Betle-
hem mitgebracht hatte, zwei
Eier gelegt, aus denen ein
Lamm und ein Löwe hervor-
gegangen seien, die Sinn-
bilder des neugeborenen Hei-
landes.18)

Das fehlende Bildwerk die-
ser Wange ist nach einem
noch vorhandenen gespaltenen
Huf vielleicht als Hirsch, wenn
nicht als Lamm zu ergänzen.
Man ist gewohnt, bei dem
Sinnbild des Hirsches zu-
nächst an die nach Erlösung
dürstende Seele des Psalms 42,
1 zu denken und an die
Heilkraft der Taufe (Tauf-
steindarstellungen, Taufge-
fäfse, Kragstein zu Neuberg,
s. oben). Wollen wir jedoch
nach Analogie des vorherge-
henden Symbols den Hirsch
auf Christum selbst deuten,
so bietet uns hierfür „Die
goldne Schmiede" des Konrad von Würz-
burg eine geeignete Stelle (ed. Grimm, Vers
1364 ff. und Vers 1390—1394). Dort ist
Christus ein Hirsch, der nach der Menschheit
dürstet und sich in seiner Herablassung zur
reinsten Quelle der Menschlichkeit selbst ver-
jüngt . . . .: „er hat des niuwen heiles hörn
uns üfgerihtet durch gewin — sin alt gehürne
warf er hin — und ist gejunget worden". Setzen
wir jedoch das Lamm ein, so bedarf es keines
besonderen Beleges für dieses geläufigste Symbol
Christi. Gerade die eben zitierte Legende aus

Abb. 4. Teil einer Chorstuhlwange aus der
ehemaligen Stiftskirche ru Berchtesjraden.

ihn auch mehrfach die bil-
dende Kunst des Mittelalters
als Verkörperung des Bösen
auf. Dennoch lassen sich in
mittelalterlichen Schriftstel-
lern auch ihm günstige Worte
finden. So besingt ihn Hugo
von Trimberg in seinem Ren-
ner (Vers 19325 ff):
Wer künde grofser Wunder be-

greiffen —
Mit kleinen Worten denn an den

greiffen —
An den die hohe Gottes wirdig-

keyt —
Besondere Wunder het geleyt —
Dafs zwee künige offenbar —
Hynden Löwe vorn Adelar —
Gemischet seyn in einer Häute
Des mag wohl wundern alle

Leute.»«)

Als ein Wunder also wird
das Königliche der Doppel-
natur des Greifen hervorge-
hoben. Mit noch bedeut-
samerem und tieferem Sinn
hat Dante den Greifen in
seiner Divina comedia ver-
wertet. Im Purgatorio (XXIX, 109) läfst er
den Siegeswagen der Kirche durch einen Grei-
fen ziehen und durch dieses Mischwesen aus
Adler und Löwe soll die göttliche und mensch-
liche Natur Christi,16) der Gottmensch, sym-
bolisiert werden. Selbstverständlich behan-
delten die meisten Dante-Illustratoren das
grandiose Bild; man denke nur an Botticellis
bekannte prächtige Zeichnung im Berliner
Kupferstichkabinett.

") »Pr aetori u s • , Saturnalia absurditatis, 1656,
S. 363.

**) Gräfse, Beiträge zur Literatur und Sage de«
Mittelalters 1850 S. 87 ff.

>») Menzel, -Christi. Symbolik« 1, 359.
 
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