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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Halm, Philipp Maria: Zur marianischen Symbolik des späteren Mittelalters, [3]: Defensoria inviolatae virginitatis b. Mariae
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0138

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211

1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

212

Ob Dante bei diesem Bilde auf ältere
Quellen zurückgegriffen hat, ob das Bild noch
mehrfach in der mittelalterlichen Literatur
begegnet und ob es aufser bei Dante künst-
lerische Wiedergabe gewann, vermag ich zur
Zeit nicht zu beantworten. Jedenfalls erscheint
die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, in dem
Greifen der Berchtesgadener Chorstuhlwangen
gleichfalls ein Sinnbild Christi zu erblicken.
Dafs auch in der deutsch - mittelalterlichen
Anschauung der Greif durchaus nicht immer
als Repräsentant des Bö-
sen erscheint, bezeugen
uns die alten Hand-
schriften des „Kampfes
der christlichen Tugen-
den und Laster". So
reitet die Demut auf einem
Panther; nach der einen
Fassung16) trägt sie „an
dem rokch ein greiffen,
der sein grofs und starkch
willen gesetzt, wirt zu
huetten der perg, do
gold und edlstein sind.
Also dy Dyemutigkeit ist
ein hueterin der anderen
tugenden dy an Dyemu-
tigkeit nicht mugen be-
halten werden; Als spricht
gregorius." Nach einer
andern Fassung17) hält ein
Engel (amor) als Knappe
der Demut deren Helm,
Schild und Fahne, und
in dieser letzteren prangt
wieder der Greif, den
wir gleichfalls im Sinne
der ersten Fassung zu er-
klären haben. Franz X.
Kraus18) erwähnt auch den Greif als Reittier
eines der neun guten Helden.

Der Bock wird nach Menzel19) in der
heidnischen Anschauung mannigfacher Beziehun-
gen halber als die unter dem Zeichen des Stein-

Abb

") »Archiv f. Kunde österr. Geschichtsquellent
V (1850) S. 590. So abgebildet bei Weigel-Ze st er-
mann, »Die Anfänge der Druckerkunst« II (1866)
S. 154 u. einschlägige Tafel.

") Cod. germ. 3974 der Münchener Hof- und
Staatsbibliothek.

18) »Gesch. d. christl. Kunst« II (1897) 1, S. 413.

>•) »Christi. Symbolik« I (1854) S. 146.

bockes wieder aufsteigende Bewegung der
Sonne nach der Wintersonnenwende gedeutet,
und diese Symbolik wurde auch auf Christus
bezogen, dessen Geburt in das Zeichen des
Steinbockes fällt. Ferner schreiben einige
Fassungen des Physiologus, der Steinbock (capra,
corcon, dorcon, dorcas, steingeiz) liebe die
hohen Berge und weide in den Gebirgstälern.
Da er auf die Berge steige und die Leute
im Tale sehe, erkenne er wohl, ob es Jäger
seien. Also tue auch unser Herr Jesus Christus,
der liebe hohe Berge, als
da sind Patriarchen, Pro-
pheten, Apostel und an-
dere Heilige. Christus sei
der Steinbock, der sich
weide an den Werken,
die die Frommen verrich-
ten, entsprechend den
Worten des Evangeliums:
„Ich hungerte und ihr
gabt mir zu essen". Das
scharfe Gesicht des Stein-
bocks bedeute Gottes All-
wissenheit.20) Die ausführ-
lichste Behandlung des
Gleichnisses findet sich
in einem sog. Bestiarium
der Pariser Nationalbiblio-
thek.21) Also aucli der
Steinbock ist als Symbol
Christi zu erkennen.

Dürfen wir es nun als
blofsen Zufall, als einen
rein launenhaften Zug des
Meisters der Chorstuhl-
wangen stillschweigend
hinnehmen, dafs gerade
das Ornament jenes Wan-
genpaares, in dessen figür-
lichen Darstellungen wir Beziehungen zu Christus
erblicken, als Motiv die Ranken des Wein-
stockes verwendet, oder müssen wir nicht in
dieser Wahl eine bewufste Tat des Meisters
erblicken, unter Zugrundelegung der Worte,
die Christus zu den Aposteln sprach: „Ich bin

Teil einer Chorstuhlwange aus der ehemaligen
Stiftskirche zu Berchtesg.nlen.

20> Hoffmann, »Fundgruben f. Gesch. deutscher
Sprache u. Literatur« I, 30. »Archiv f. Kunde österr.
Geschichts - Quellen« V (1850) S. 569. »Mdlanges
d'archeologie« III (1853) S. 219.

") ».Monges d'archeologie« II (1851) Taf. XXXI
und III 11853) S. 219.
 
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