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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Kuhn, Johann: Polychrome Einzelheiten von der kunstgeschichtlichen Ausstellung zu Erfurt 1903
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0196

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307

1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

308

Mantel und das Unterkleid einer frühgotischen
sitzenden Madonna in Holz in der Liebfrauen-
kirche zu Halberstadt sind glanzvergoldet, das
Futter des ersteren ist rot gefärbt. Auf den
goldenen Grund sind schwarze, durch Punkte
gebildete Rosettchen gesetzt. Dieses Verfahren;
nämlich das farbige Ornament auf die Ver-
goldung oder Versilberung zu legen, war von
der spätromanischen bis zur spätgotischen Pe-
riode vielfach in Übung. Es kann z. B. noch
an den frühgotischen Steinskulpturen der klu-
gen und törichten Jungfrauen, welche an der
goldenen Pforte des Magdeburger Domes auf-
gestellt sind, nachgewiesen werden. Den langen,
durchaus vergoldeten Tuniken sind farbige
Muster aufgemalt.2) Vergl. hierzu auch das
unten näher beschriebene Unterkleid St. Mi-
chaels. Eine jetzt im städtischen Altertums-
museum zu Erfurt auf bewahrte, auf einer glanz-
versilberten Mondkugel stehende, hochgotische
Marienstatue ist mit einem weifsen Oberge-
wand bekleidet, dessen Musterung in Streu-
manier aus goldenen Hirschen und schwarzen,
pinienzapfenähnlichen Motiven besteht und mit
einem breiten Goldsaum versehen ist. Das
Futter ist blau gehalten, das Unterkleid Ma-
riens und die Tunika des göttlichen Kindes
sind glanzvergoldet. Die Behandlung einzelner
Madonnenobergewänder mit Weifs eignet nicht
blofs der hochgotischen, sondern auch der früh-
und spätgotischen Periode. So trug z. B. das
der Frühgotik angehörige Steinbild Mariens im
Tympanon des Südportals des Strafsburger
Münsters ehemals ein weifses Gewand.3)

Wir wollen nicht unterlassen, noch auf eine
Fassungsart aufmerksam zu machen, die sich
bei unseren modernen Künstlern und Kunst-
liebhabern so grofser Beliebtheit erfreut und
stereotyp zu werden droht. Dieselbe kommt
an einer nun wieder in der fürstlichen Schlofs-
kapelle zu Schwarzburg befindlichen spätgoti-
schen Holzfigur Mariens vor. Das Oberkleid
ist grünblau bemalt und mit einem breiten
Saum verbrämt, der sich aus gröfseren, durch
weifse Linien gebildeten Spitzrauten mit auf-
gesetzten Punktrosetten zusammensetzt. Für
das Futter des Oberkleides ist hellrot, für die
rechte Seite des durch Goldrosetten gemusterten

a) Hasak, »Handbuch d. Architektur«, IV. Bd.,
4. Heft. Stuttgart (1903) S. 234.

3) Franck, »Die Meister der Ecclesia u. Syna-
goge«, Düsseldorf (1903; S. 59.

Untergewandes dunkelrot gewählt. Das weifse
Kopftuch oder der Matronenschleier ist schwarz
gestreift. Diese Farbenauswahl am Madonnen-
bilde tritt sporadisch schon in der frühgotischen
Skulptur auf. Wir erwähnen aus dem XIII.
Jahrh. die mit blauem Obergewand und roter
Tunika bekleidete Steinstatue in der Kirche
zu Wimpfen i. Thal. Öfter begegnet man der
Bemalung des Marienbildes mit Blau und Rot
in der spätesten Zeit der Gotik. Aus dem
häufigen Vorkommen dieser Fassungsart in der
Spätzeit folgern zu wollen, dieselbe sei im
ganzen Mittelalter konventionell gewesen und
müsse deshalb für die Polychromie neuer
Statuen oder Reliefs ausschliefslich vorbildlich
sein, ist ein Irrtum.

Im Mittelalter war es allgemein Brauch,
die Marienbilder aus Holz und Stein wenigstens
der Hauptsache nach mit Gold auszustaffieren.
Dafs die Goldstaffierung die Regel, alle hiervon
abweichenden Fassungsarten die Ausnahme bil-
deten, beweisen nicht blofs die aus der hoch-
und spätgotischen Zeit erhaltenen, nach vielen
Hunderten zählenden Statuen und Reliefs, wel-
che in reich bemalten und vergoldeten Schrei-
nen Aufstellung fanden, sondern auch die aus
der romanischen und frühgotischen Periode
stammenden Stein- und Holzskulpturen. So
waren unter anderen die dem XII. und XIII.
Jahrh. angehörigen Steinmadonnen am Tür-
pfeiler zu Chartres, am Südportale der Kathe-
drale zu Amiens,4) an der goldenen Pforte des
Domes zu Freiberg vergoldet. Erhalten hat
sich die Vergoldung noch an der spätromani-
schen, als wundertätig verehrten Holzstatue in
der Kathedrale zu Solsona (Span.).5) Ein über-
lebensgrofses, frühgotisches Standbild Mariens
aus Holz im Museum zu Stuttgart trug ur-
sprünglich ein glanzvergoldetes Unter- und ein
mit Edelsteinimitationen verbrämtes Oberge-
wand, wie die zum Teil jetzt abgegriffene
spätere Übermalung deutlich erkennen läfst
(das Gegenstück, St. Johannes, war in gleicher
Weise ausstaffiert). Sicherlich liefse sich bei
eingehender Untersuchung noch bei manchem
anderen mittelalterlichen blau und rot be-
malten Marienbilde die einstige Vergoldung
feststellen. Die Goldstaffierung, mag sie nun

4) Vöge, »Die Anfänge des monumentalen Stils im
Mittelalter«. Straisburg (1894), S. 305 u. 320, Anra.

6) Schnütgen in »Zeitschr. f. christl. Kunst«,
XII. Jahrg., S. 191 f.
 
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