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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Kuhn, Johann: Polychrome Einzelheiten von der kunstgeschichtlichen Ausstellung zu Erfurt 1903
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0198

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1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

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nen wurden mit Schwarz gezeichnet. Im
Rachen und in den Augenhöhlen sind noch
rote Farbenreste wahrnehmbar. Auch die we-
niger ins Auge fallende Brust des Löwen ist
nicht ohne Schmuck geblieben. Der Staffierer
hat dort eine männliche Figur eingegraben,
einen sogen. Falkonarius, welcher einen Falken
trägt. Dieser ist bunt (in Rot, Grün und Blau)
lasiert. Aufser dieser sichtlich nur für profane
Zwecke angefertigten Löwengestalt befanden
sich auf der Ausstellung zwei polychromierte,
aus dem XV. Jahrh. stammende eigentliche
Kastenmöbel. Die erste, zum Inventar des
Domes zu Erfurt gehörig, kennzeichnet sich
durch die Art ihrer Bemalung als kirchlicher
Einrichtungsgegenstand. Es ist ein hl. Grab
in Form einer sogen. Sargtruhe, deren Aufsen-
seite und innere Deckelfläche mit Architekturen
und figürlichem Bildwerk bemalt ist. Der
zweite, im Privatbesitz zu Erfurt befindliche
Kasten, hat möglicherweise einstens zur Auf-
bewahrung kirchlicher Utensilien gedient. Über
die glatten schwarz gestrichenen Holzflächen
verästelt sich ein mennigrot gefärbtes, schmiede-
eisernes Rankenwerk. Das Mittelalter, ja selbst
noch die Renaissance, hat von solchen Mennig-
anstrichen für Eisenwerke einen ausgiebigen
Gebrauch gemacht und zwar aus ästhetischen
und praktischen Gründen. Mennigrot hat einer-
seits für das Auge eine wohlgefällige Wirkung,
andererseits schützt es das Eisen gegen Oxy-
dieren. Man hat diese Vorzüge in der Gegen-
wart wieder erkannt und verwendet deshalb
die mit Öl gebundenen Mennige als Rostschutz-
mittel. Diese Anstriche decken gut und trock-
nen rasch. Für feinere kirchliche Arbeiten
dürfen selbstverständlich nicht die gewöhn-
lichen mit rotem Ocker oder gar mit Ziegel-
mehl vermischten Präparate, welche zum Grun-
dieren von Maschinen-und Wagenteilen, von Säu-
len und Trägern dienen, sondern nur die besten
Sorten, z.B. die Orangemennige, benutzt werden.
Als letztes Stück nennen wir ein spät-
gotisches Mefspult aus der St. Ulrichskirche
zu Halle a. S. Die Mitte der Pulttafel zeigt
durchbrochenes Mafswerk. Der breite Rand
der Tafel ist mit Blattwerk in Flachschnitzerei
dekoriert. Dieser Blätterschmuck ist in der
Naturfarbe belassen, der ausgehobene Hinter-
grund dagegen ist mit Schwarz ausgelegt. — Wir

schliefsen unsere Abhandlung mit einem kurzen
Hinweis auf den so gut erhaltenen Kreide-
grund der ausgestellten Skulpturen. An den
meisten Figuren ist derselbe vier- bis fünf-
hundert, an einigen, nämlich der Halber-
städter Madonna und an der Schwarzburger
Löwengestalt, sogar sechs- bis siebenhundert
Jahre alt. Und doch haftet derselbe bei
dem gröfsten Teile der Figuren noch so fest,
als ob derselbe erst neu hergestellt worden
wäre. Welche Sorgfalt bei der Auswahl der
Materialien und bei Ausführung der Arbeiten
setzt dieses voraus! Nur ein ganz vorzüglicher,
aus rohen Häuten oder Leder (Pergament) ge-
sottener Leim konnte den Gips oder die Kreide
(Bolus) so dauerhaft mit dem Holze verbinden.
An Statuen aus dem XVII. und XVIII. Jahrh.
kann man häufig die Wahrnehmung machen,
dafs der Kreidegrund schon im Abblättern be-
griffen ist oder sich ohne besondere Mühe mit
dem Fingernagel leicht abschaben oder ab-
kratzen läfst, weil der Leim zersetzt und ver-
fault ist. An eine Wiederherstellung der Fas-
sung ist auch im letzteren Falle nicht mehr
zu denken, weil beim Polieren unter dem
Drucke des Achats der morsche Grund nach-
geben oder brechen würde. Eine derartige fort-
geschrittene Zersetzung des Kreidegrundes ge-
hört bei den thüringischen Skulpturen zu den
Seltenheiten, obwohl die meisten derselben seit
Jahrhunderten in den feuchten Dorfkirchen des
Thüringer Waldes aufgestellt sind. Wohl sind
mitunter auch bedeutendere Flächen vom Kreide-
grund entblöfst, aber bei genauer Untersuchung
zeigt sich, dafs diese Schäden nicht dem zer-
störenden Einflufs der Atmosphärilien, sondern
dem Abgreifen und Abstofsen zuzuschreiben
sind; denn die defekten Stellen finden sich
zumeist nur an vorspringenden Teilen, z. B. an
den Höhen des Gefältes. Die Staffierung des
gröfsten Teiles der Skulpturen kann von er-
fahrenen und gewissenhaften Polychromeuren
oder Fafsmalern wieder vollständig restauriert
werden. Die zu ergänzenden Partien des
Kreidegrundes lassen sich durch Aufrauhen der
anstofsenden alten Teile leicht mit letzteren
verbinden. Kleinere verdächtige oder zweifel-
hafte Stellen im alten Grunde können durch
Übergehen mit heifsem Leim ebenfalls wieder
gebunden werden.

Wermeiichshausen. Johann Kuhn.
 
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