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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Cremer, Franz Gerhard: Ein Rückblick auf die "moderne Kunst", [1]: in der internationalen Kunstausstellung zu Düsseldorf 1904
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0235

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371

1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

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sichern. Denn „es kommt nicht vor" — so
lesen wir auch in den ,Altindischen Sprüchen'11)
— „dafs ein anderes gesät würde und ein
anderes aufginge: der Same, der gesät wird,
der geht auch auf." Was aber soll wohl aus
dieser Drachensaat, die hier in die breiten
Massen des Volkes hineingesät worden ist,
aufgehen?

Entschiedener noch als Sokrates und Plato
äußert sich der Stagirite, der große Lehrer
des großen Alexander. Sokrates war das sitt-
liche Handeln Folge der vernünftigen Einsicht,
Aristoteles stellte aber den Grundsatz auf: daß
zum Lernen auch das Üben kommen müsse,
und daß Erziehung zu guten Sitten durch das
Gesetz frühe gute Gewöhnung vorangehen
müsse, wenn der Unterricht über das Sittliche
fruchtbringend sein solle.12) Alle verschiede-
nen Bestrebungen des Menschen umschließen
und beziehen sich bei Aristoteles nur auf einen
Begriff: die Glückseligkeit.13) Die Glückselig-
keit aber, welche in einer mit den erforder-
lichen Hilfsmitteln ausgerüsteten erfolgreichen
Tätigkeit während unseres Lebens besteht,
gründet sich wesentlich auf Tugend. Wenn
daher das Streben der Gesetzgeber dahin ge-
richtet bleibe, die Bürger durch Übung und
Gewöhnung zu veredeln,14) so sei nach Kräf-
ten daraufhinzuarbeiten, gleich, von früh an15)

lr) von Otto Böhtlingk. (St. Petersburg, 1865.)
Bd. I, S. 23. — Es ist dies übrigens ein eben so
verbreitetes wie den Urzeiten angehörendes Wort.
Auch Paulus gebraucht es in seinem Briefe an die
Galater (6, 7): rDenn was der Mensch sät, das wird
er ernten."

I2) >Ethik an Nikomach«. X, 10. Reichere wei-
tere Quellen bei Dr. Friedrich Cramer: »Geschichte
der Erziehung und des Unterrichts im Altertumet
(Elberfeld, 1838). Bd. II, S. 426.

Is) Seneca (De vita beata 4, 3) sagt: „Das glück-
selige Leben ist ein freier und hochgesinnter Geist,
furchtlos und standhaft, .... dem das Sittlichgute
das einzige Gut und das Sittlichschlechte das einzige
Übel ist, alles übrige dagegen ein nichtiger Wust
von Dingen."

14) »Eth. an Nik.« II, 4. III, 11 u ö. II, 1.

15) ebend. II, 1 sub fin.

Auch fordern hierzu mit freundlicher Mahnung
die altindischen Weisen mit dem trefflichen Worte auf:
„Wem nur einmal ward beschieden
Wahres Heil und Seelenfrieden
Durch Erfüllung seiner Pflicht;
Wer der Tugend sich ergeben,
Opfert lieber Glück und Leben,
Aber seinen Vorsatz nicht!"*)

*) Die Sprüche des Bhar triharis; aus dem Sanskrit me-
trisch übertragen von P. v. Bohlen (Hamburg, 1835) S. 109.

die Jugend so zu gewöhnen, weil nur durch das
Vollbringen vieler tugendhaften Handlungen
die Tugend16) selbst erlangt werden könne.

Pindaros singt daher jenen Tugendbehütern;
himmelgesegneter Hand beglückenden Männern
mit den Worten unsterbliches Lob:

„Denn jene lieh'n des Schönen Lust. — Von der
Gottheit werden Sterbliche weis' und groß."
(Olymp. Ges. IX, 30.)
Vergeblich halten wir aber in dieses Kunst-
palastes Räumen unter den „Modernen" Um-
schau, etwas von jener Kunst zu erblicken,
die Pindaros mit den Worten feiert:

5) rSüße Kunst, noch spät des Ruhms

Weckerin und hocherhabener Tugend das
treueste Pfand; — (Olymp. Ges. X.)

nach jener Kunst, die durch das Schöne er-
hebt und zum Guten stärkt, und die in ihren
Schöpfungen Göttliches ahnen läßt. Dafür
finden wir aber leider alles, was uns auf das
Bitterste enttäuscht, da schon die gewählten
Motive, ganz abgesehen von der durchaus un-
zureichenden Ausführung, selbst die Absicht,
zu Höherem zu führen, ausschließen. — Ob
man denn gar nicht mehr beachtet, wozu die
Weisen des Altertums auffordern ? Sagt doch
Seneca:

„Laßt uns den Göttern folgen, soweit die mensch-
liche Schwäche es gestattet."

(De beneficiis lib. VII, I, 1, 9.)
und wiederum:

„So weit es möglich ist, bilde in dir die Gottheit
nach!" (De vita beata 16, 1, 9.)

Nicht minder bleiben die Verse zu erwähnen, welche
wir den »Indischen Sinnpflanzen und Blumen zur
Kennzeichnung des indischen, vornehmlich tamulischen
Geistes», herausgegeben von K. Graul (Erlangen,
1865) Abschnitt 14, S. 62 entnehmen:

,,Ehr' erwirbt dir Sitte; drum denn ehre

Mehr die Sitte, als dein Leben selbst.

Adel ist es — edle Sitte halten ;

Tadel-voller Wandel — Pöbels Art."

10) In jenem Juwel der »Indischen Literatur«:
„Sawitri", welches in der herrlichen Schlußstrophe
ausklingt:

„Glückselig wird man immerdar
dich preisen, Segenspenderin;
und wo man Frauentugend rühmt,
sei Sawitri zuerst genannt*
ebenhier vernehmen wir von Sawitri im Wechsel-
gespräche mit Jama, dem Fürsten der von dieser
Welt Geschiedenen, die trefflichen Worte:

„....., denn die Weisen nennen

die Tugend ihren Schutz und ihre Wohnung.
Bei Guten ist die Tugend drum das Erste."
 
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