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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Cremer, Franz Gerhard: Ein Rückblick auf die "moderne Kunst", [1]: in der internationalen Kunstausstellung zu Düsseldorf 1904
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0236

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373

1904 — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

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ein Verlangen, das der Menschheit großer
Lehrer mit dem Ausdrucke begründet:

„als ob der Weise — wie ja der Grieche seine
Künstler hieß n) — etwas anderes wäre als ein Er-
zieher des Menschengeschlechtes *

(Epist. morales ad Lucilium 89,13);8)

Diesen herrlichen Aussprüchen Senecas sind
aber längst andere voraufgegangen, wie die so-
genannten „Goldenen Sprüche desPythagoras"19)
bestätigen, und daß auch Pythagoras an den
unversiegbaren Brunnen des Ewigen geschöpft,
beweisen genugsam die Literaturen aller diesem
noch voraufgegangenen alten Kulturvölker, die
sich zu erhabener Schöne in den gesammelten
Aussprüchen des alten Testamentes entfaltet
zeigen, wie sie im „Neuen" Vollendung und
Verklärung fanden. Wenn ich dann auf ein
mir vorliegendes Buch schaue, welches die
Aufschrift trägt:

„Alles ist Euer,

Ihr aber seid Christi,"*0)
und gleich auf den ersten Seiten die Worte lese:

„Timete Deum! heißt der Quell des Schönen",

17) M. s. Untersuchungen über den Beginn der
•Ölmalerei« usw. von Franz Gerh. Cremer (Düssel-
dorf, 1899), S. 228, Anmerk. 245.

,8) Diese Stellen sind nach Haases Textausgabe
angeführt. (Teubner, Lipsiae 1893—95.) Man sehe
hierzu »Seneca-Album« von B. H. Betzinger. (Frei-
■burg im Breisgau, Herdersche Verlagshandlung 1899.)

19) „_ _---------------------

Zum Schädlichen laß nie die Sinne, die Gedanken,
Den Willen, den Geschmack, den Leib, die Füße
wanke n!

Die Augen schließe nie zum Schlaf, als bis die
Frage

Geschehn ist: Was hab' ich an diesem ganzen Tage

Getan? Hab' ich auch wohl nur eine Tat ver-
säumt ?

Der Schläfer schläft nicht gut, der seine Sünde
träumt!

Ist Böses wohl geschehn ? Ist Gutes unterblieben ?

Die Götter können dich, du selbst kannst dich
nicht lieben!

Sag's deinem Herzen, schilt auf jeden bösen Trieb,

Tu dieses Gute heut, das gestern unterblieb!

Hast Gutes du getan, hast Böses du vermieden?

Sag's deinem Genius, und sei mit dir zufrieden!

(Aus dem Griechischen von Gleim-
Halberstadt, 1786, S. 12 u. w.)
20) »Vorträge und Abhandlungen über das Ver-
hältnis der Kunst, besonders der Poesie, zur Offen-
barung.« Von D. Julius Disselhoff. (Kaiserswerth
■a. Rh. Verlag der Diakonissen-Anstalt. 1897.) —
S. VII.

dann will mir scheinen, daß im Kunstpalaste
manchen Werkes Aufschrift Dantes Worte
wiederholen müßte:

„Per me si va tra la perduta gente!

Lasciate ogni speranza voi ch'entrate." 21)
In Betrachtung solcher Aussprüche müssen
uns aber die durch die „Modernen" gebotenen
Werke einer gottentfremdeten, guter Sitte Hohn
sprechenden Kunst gleichsam wie Verhöhnung
und Spott auf alle höheren Bestrebungen und
Ziele des Menschen erscheinen. Ebendarum
ist es auch an der Zeit, ein ernstes Wort
zu reden; handelt es sich doch nicht um das
Verfehlen eines Einzelnen, sondern um die
Verführung der Massen. — Seneca nennt da-
her die Künstler Wahnsinnige, die mit
ihren Fabeln von den Leidenschaften der
Götter die Leidenschaften der Menschen näh-
ren22) (De brevitate vitae 16, 5), und Tempel-
frevler, die ob ihrer Beleidigung der Gott-
heit der Strafe nicht entgehen werden. (De
benefic. lib. VII. 7, 3; de vita beata 26, 5.)
„Täuschet euch nicht!" schreibt ja auch Paulus
an die Galater (6, 7j, „Gott läßt seiner nicht
spotten!" —

Diese Mahnungen und Warnungen sind von
solcher Klarheit und Deutlichkeit, daß eine
auf sie gegründete Kritik wahrlich keiner wei-
teren Begründung, geschweige denn einer
Rechtfertigung bedarf. Wem aber ein solches
Wort nicht genehm, der soll sich erst recht
bescheiden, denn der sei an des weisen Salomon

Ausspruch gemahnt: ,......wer aber Tadel

haßt, ist ein Tor!" (Spr. 12,1).

(Fortsetzung folgt.)
Düsseldorf. Franz Gerh. Cremer.

2l) La Divina Commedia di Dante Alighieri. Vol. I.
Dell' Inferno; cant. III. (Miiano, MDCCCXXXII.)

rDer Eingang bin ich zum verlornen Volke!

Laßt, die ihr eingeht, jede Hoffnung fahren."

'•') Friedrich Creuzer sagt darum auch im I. Bande
seiner »Symbolik und Mythologie der alten Völker,
besonders der Griechen«, S. 80, 3. verb. Auflage.
(Leipzig und Darmstadt, 1836), in Erinnerung des
Verhältnisses des Zeus zur Danae und der Geburt
des Perseus, dessen sich Zeus, neben anderen Liebes-
händeln (Iliad. XIV, 315 u. f.) selber gegen Here
rühmt: r. ... Je größeren Einfluß die Dichtkunst
auf den Volksgeist ausübte, um so mehr muliten
sich die Philosophen und Plato selbst im Interesse
der öffentlichen Moral und Volkserziehung gegen sie
erklären."
 
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