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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Reiners, Heribert: Das Chorgestühl aus der Pfarrkirche zu Wassenberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0075

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119

1908.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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Hohlkehlen, kehrt bei fastallen Gestühlen wieder,
bald in dieser einfachen Form, bald bereichert.
Die Wand schließt mit einer Deckplatte, die
in ihrer Zweiteilung und in ihrem Profil eben-
falls den frühen Gestühlen charakteristisch und
die als Armstütze der Stehenden geschaffen ist,
während ein Knauf am oberen Ende der Ver-
bindungslinie den Sitzenden diese Dienste
leistet.

Das zeitlich nächstfolgende Gestühl ist das
aus der Pfarrkirche zu Wassenberg. Es ist
im Gebiete der Maas entstanden und weist
mit mehreren belgischen Gestühlen einige Ab-
weichungen von den übrigen rheinischen
Werken auf, die sich in erster Linie auf die
Trennungswände erstrecken. Diese wiederholen
zwar die Dreiteilung der Vorderkante, ihnen
fehlt jedoch der Knauf der unteren Armlehne.
(Vgl. Die Gestühle zu Hastiere pres de Dinant
und zu Ste. Croix in Lüttich; beide abge-
bildet : Reusens, Elements d'archeblogie chrdti-
enne II p. 242, 243.) Der Wassenberger
Künstler hat auch auf die dem obersten Gliede
vortretende Säule verzichtet und die Kurve
bis unter die Deckplatte gezogen, um sie hier
in einen Knauf, eine Blattknolle, einen Tier-
oder Menschenkopf endigen zu lassen. Daß
diese Knäufe mit ihren Verzierungen jeder
Symbolik fernstehen und daß sie nur als Er-
zeugnisse des wiedererwachten Sinnes der
jungen Gotik für die Natur, als rein künst-
lerische Produkte zu genießen sind, bedarf
wohl keines näheren Beweises. Die Samm-
lung Schnütgen (Köln) birgt zwei Überreste
von Chorgestühlen, zwei zusammengehörige und
eine einzelne Wange, die wenig jünger als das
Wassenberger Gestühl, wie dieses der heutigen
belgischen Grenze, dem damaligen Herzogtume
Brabant entstammen. Bei ihnen ist, abweichend,
aus dem Unterstock die erste Trennungswand
gemeißelt, die ebenfalls unter Verzicht auf die
sonst dem Obergliede vortretende Säule die
Zweiteilung gibt.

Ihr großes Interesse verdanken die Wassen-
berger Stühle ausschließlich den beiden Ab-
schlußwangen. Sie wiederholen die übliche
Gliederung in Ober- und Untergeschoß: jenes
eine große Volute mit Figuren, dieses mit
Blendarkatur und vortretender Säule. Man
vergleiche die Wangen mit denen des Xantener
Meisters. Nur einige Jahrzehnte liegen zwischen
beiden Schöpfungen. Aber wie viel höher
steht der Wassenberger Künstler als seine Vor-

gänger. Was bei diesem noch unbestimmt zum
Ausdruck kam, hat sich bei jenem voll und
wunderbar ausgereift. Die Volute ist klar und
einfach, und die Figuren sind mit unübertreff-
lichem Geschick mit den großen, durchgehenden
Kurven verbunden. Das Ornament ist der
Hauptlinie weit besser untergeordnet und er-
zielt mit dieser zusammen einen reineren Akkord.
Auch das Kapitell ist nicht mehr von Blättern
überwuchert, sondern in leichter Anlehnung an
das Korbkapitell in eine anmutige Form ge-
bracht. Das Gesims, das bei den anderen Werken
die Volute wie ein Rahmen umschließt, fehlt
hier als vorteilhafte Änderung (ebenso bei den
genannten Wangen der Sammlung Schnütgen).

In die Voluten hat der Künstler links die
Madonna, vom Stifter verehrt, rechts den Stifter
zu Pferde hineinkomponiert. Die Madonna,
in einem langen Gewände und einem die Arme
und Brust frei lassenden Mantel sitzt auf einer
schmalen Bank und hält das Kind auf ihrem
linken Knie. Ob der Knabe sich aufrecht
stellen oder vom Knie heruntergleiten und
sich setzen will, ist aus seiner Bewegung nicht
ersichtlich. In dieser Stellung kann er nicht
lange verweilen, denn der rechte Fuß ruht halt-
los auf der Mantelfalte, der linke schleift mit
der Kante auf dem Kniee nach. Über der vollen
Rüstung den Streitmantel mit Gürtel und
Schwert, die Hände gefaltet erhoben, kniet der
Stifter vor der Madonna. Auf der rechten
Wange erscheint er in derselben Tracht, auf
dem Streitroß zum Kampfe reitend, in der
Linken die Zügel, in der Rechten die Lanze.

Zwei der köstlichsten Schöpfungen der
jungen Gotik treten uns in diesen Figuren ent-
gegen. Die vortreffliche Behandlung der Körper,
der schöne Rhythmus, der sie belebt und der
besonders anmutig in dem Jesuknaben zum
Ausdruck kommt, der leichte, ölige Fluß der
Linien, ein Vorzug dieser jungen Kunst und
endlich die technische Vollendung zeichnen die
Werke aus. Offenbar sind die Figuren unter
starkem, französischen Einfluß geschaffen worden.
Der Typus der Madonna, die sitzend, das
stehende Kind auf den Knien hält, war auch
schon längst im Rheinlande heimisch und kehrt
in der Holz-, Stein- und Elfenbeinplastik wie
in den Glasgemälden wieder. Als direkte fran-
zösische Schöpfung darf man die Wassenberger
Madonna nicht ansehen, dagegen sprechen die
Proportionen des Körpers, das breite Oval des
Kopfes und ein gewisser Mangel an Eleganz.
 
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