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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Moeller, Ernst von: Die Zahlensymbolik in ihren Beziehungen zur Gerechtigkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0086

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139

1908.— ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

140

Gleichheit von Tat und Rechtsfolge, den
Gedanken der Vergeltung zum Ausdruck
zu bringen. Die Mitteilungen, die wir darüber
Aristoteles' nikomachischer Ethik und der
Schrift „Magna Moralia" verdanken, werden
von Alexander Aphrodisiensis in seinem
Kommentar zu Aristoteles' Metaphysik be-
stätigt.

Zwei Quadratzahlen sind es aber ganz
speziell, die dabei vor allen andern für die
Pythagoreische Zahlensymbolik in Betracht
kommen: die Zahl Vier und die Zahl Neun.
Eins, als Quadrat seiner selbst aufgefaßt, hat
nicht die Kraft, sich von seinem Ausgangs-
punkt Eins zu entfernen. Zwei und Drei
dagegen sind dazu imstande, wenn sie ins
Quadrat erhoben werden. Und so sind Vier
und Neun die ersten selbständigen Quadrat-
zahlen der kleinsten geraden und der klein-
sten ungeraden Zahl, die sich durch Poten-
zierung über sich selbst erheben kann.

Die Zahl Vier ist möglicherweise ursprüng-
lich von den Pythagoreern allein zur Sym-
bolisierung der Gerechtigkeit benutzt, und die
Zahl Neun erst später von ihnen derselben
Ehre gewürdigt worden. Jedenfalls spielt in
der späteren Literatur in dieser Hinsicht
dauernd die Vier eine ungleich größere Rolle
als die Neun. Der Grund liegt darin, daß
die Vier nicht bloß gleich zweimal zwei,
sondern auch gleich zwei plus zwei ist, wäh-
rend sich die Neun als ungerade Zahl nicht
in zwei ganzzahlige Hälften zerteilen läßt, und
drei plus drei nur sechs, aber nicht neun er-
gibt. Mit besonderer Vorliebe nahm man
diejenige Zahl zum Sinnbild der Gerechtig-
heit, deren Wurzel, zu sich selbst addiert und
mit sich selbst multipliziert, beidemal dieselbe
Zahl ergab. Daneben erfreute sich die Zahl
Vier besonderen Ansehens, weil sie, um die
Summe der kleineren ganzen Zahlen Eins
plus Zwei plus Drei gleich Sechs vermehrt,
auf Zehn anwächst. Außerdem spielen hier
wie sonst in der Zahlensymbolik nicht bloß
arithmetische, sondern auch geometrische Er-
wägungen mit hinein. Die Zahl Vier ist die
Zahl des Flächenquadrates: vier Seiten, vier
Ecken, vier rechte Winkel. Die Vier gibt die
Richtungen an, in denen zwei Grade, die sich
schneiden, verlaufen. Es ist klar, daß auch
in diesen Beziehungen die Zahl Neun hinter
der Vier zurücksteht. Die entsprechenden
Verhältnisse der Neun, Neuneck usw., sind in

der Geometrie genau wie in der Arithmetik
längst nicht so einfach, so wesentlich. Ohne
Zweifel aber spielen bei der Wahl der Vier
die Hauptrolle rein zahlenmäßige Erwägungen:
4 = 2-2 = 2 + 2 = (1 + 1)+ (1 + 1). Das
Gleichgewicht in der Handhabung der Ge-
rechtigkeit, das zur Wahl der Wage als Attri-
but der Gerechtigkeit in Kunst und Dichtung
mit beigetragen hatte, wurde von den Pytha-
goreern in der Vier erblickt. Die Vier galt
ihnen als gleichgeartete und darum als ge-
rechte Zahl.6)

Völlig unter der Einwirkung dieser pytha-
goreischen Lehre von der Symbolisierung der
Gerechtigkeit durch bestimmte Zahlen steht
Philo von Alexandrien.6) Aus seinen Schrif-
ten kommt hauptsächlich eine Stelle seines
Buches von der Erschaffung der Welt in
Betracht. Genau aus denselben Gründen,
die die Pythagoreer geltend gemacht hatten,
bezeichnet er die Vier als „/uttgov öixaioavvtjg
xal laürrjxo^'. Und sehr charakteristisch ist
es, daß er unmittelbar daneben betont, daß
die Neun zwar aus der Drei als deren Quadrat
hervorgehe, daß aber die Drei um sich
selbst vermehrt nur Sechs ergebe. Offen-
bar betrachtet er die Neun nicht als Maß
der Gerechtigkeit und Gleichheit. Aber ihre
Erwähnung an dieser Stelle weist auf die
pythagoreische Lehre der älteren Zeit zurück,
die zuweilen neben der Vier auch die Neun
als Symbol der Gerechtigkeit betrachtet hatte.

Es ist interessant, diese mystische Auf-
fassung der Vierzahl in der nachchristlichen
Literatur weiter zu verfolgen. Ein Traktat,
der fälschlich dem Ambrosius zugeschrieben
wird, in Wahrheit jüngeren Ursprungs ist und
den Titel „De XLII mansionibus filiorum Dei"
führt,7) stellt durchaus im Sinn der Pytha-
goreer die Behauptung auf: „Justitiam quater-
narius insinuat." Die Gründe, die diesen
Satz beweisen sollen, sind zum Teil neu.
Die Vier, heißt es, schließt die vier „Maße"

6) »Theologumena arithmeticae«, ed. Ast. 1817,
p. 23. Aristides Quintilianus , »de musica« 1. 3.
(Meibom, »antiquae musicae auctores« II, 1652
p. 155.) Abert, »Musikanschauung des Mittel-
alters.« 1905, p. 22, 32.

6) »Opera», ed. Cohn u. Wendland. I. 1896,
p. 16 f.: De opificio mundi 16; p. 81 : Leg. Allegor.
I, 23; II, 1897, p. 156 f.: De plantatione 28 f. ;
IV. 1902, p. 226: De Vita Mosis II (III), 11.

7J Migne, »Patrologia lat.« XVII (Ambr. 11,2).
1879. col. 12. Abert, p. 118 not 7.
 
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