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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Creutz, Max: Rheinische Goldschmiedeschulen des X. und XI. Jahrhunderts, [1]: Die Reichenau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0101

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1908.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Mr. 6.

den Halbfiguren der vier Tugenden, der
Justitia, Prudentia, Temperantia und Fortitudo,
hier jedoch in feingezeichnetem verschlunge-
nen Rankenwerk, das aus einer Vase hervor-
wächst.

Dieses Rankenwerk sowohl, wie die Scheiben
mit dem Halbfiguren der Tugenden sind auch
bei anderen Werken der Schule beliebt. Sie
kehren in vergröberter Weiterbildung wieder
auf einem Buchdeckel in München als Um-
rahmung eines byzantinischen Elfenbeines und
auf dem Tragaltare der Kirche zu Watterbach
inUnterfranken im Nationalmuseum zu München
(Abb. 2) als Umrahmung der Halbfigur des
jugendlichen Christus und der Tugenden.
Letztere findet man auch mit ausgeschnittenem
Grunde auf einen mit Seide überspannten
Untergrund aufgelegt, so bei der Rückseite
von Cod. lat. 4452 Cim. 54 der München er
Staatsbibliothek, dessen Rahmen ein palmetten-
förmiges Muster zeigt (Abb. 3). Diese Aus-
schneidetechnik, die hier den feinen Kontrast
des Edelmetalles und Seidengewebes hervor-
holen sollte, war im XI. Jahrb.. sehr ver-
breitet. Theophilus beschreibt sie (Sched.
div. art., Cap. 71. Ed. Hg, p. 280): „Mache
dir dünne Streifen aus dem Kupfer, nach-
dem du sie mit welcher Arbeit du willst,
bedeckt hast. Lege den Streifen auf den
Amboß und schlage mit dem Meißel alle
Gründe durch, indem du mit dem Hammer
darauf pochest. Wenn dann alle Gründe auf
solche Art durchstoßen sind, so arbeite sie
mit Feilen bis zu den Umrissen gänzlich aus.''
Diese Ausführungen des Theophilus sind in-
sofern wichtig, als sie zeigen wie in der
Schedula auch die Erfahrungen früherer Zeiten
verarbeitet sind. Daß Theophilus selbst iden-
tisch ist mit dem Benediktiner Rogerus von
Helmershausen und in der Zeit um 1100 ge-
lebt hat, wird sich später erweisen. Von
anderen Gravierarbeiten der Reichenau ist
noch besonders wichtig die Rückseite von
Cim 60. (Cod. lat. 4456) mit einer gravierten
gleichfalls ausgeschnittenen Darstellung des
heiligen Gregor unter einer dachförmigen
Architektur. ^

Nach Haseloff (a. a. O.S. 885) ist diese Dach-
form für Reichenauer Häuser überaus be-
zeichnend. Das Silberrelief sei am leichtesten
und wahrscheinlichsten als Reichenauer Arbeit
zu erklären. Es gehört in der Feinheit der
Zeichnung zu den hervorragendsten Arbeiten

des XL Jahrh. Die Gruppe von Reichenauer
Gravierarbeiten, die sich durch einige Werke,
wie die Rückseite des Codex von Poussay,
eine Silberplatte auf dem Deckel eines Lektio-
nars in der Bibliothek des Grafen Schönborn
zu Pommersfelden und auf dem Buchdeckel
eines Codex in der Universitätsbibliothek zu
Würzburg mit schon erstarrtem mehr romani-
schem Rankenwerk, dem Altar von Ipplen-
dorf bei Bonn in der Sammlung Martin le Roy
und andere leicht erkennbare Werke noch
vermehren ließe, bildet die Unterlage für die
Weiterentwicklung der romanischen Kunst.
Zahlreiche Momente greifen von dieser Gruppe
in die Kunst des XII. Jahrh bis nach Nord-
deutschland hinüber. Vom Rnnkenwerk der
erwähnten Tragaltäre des Cluny-Museum und
des Wattenbacher Altares in München geht
der Weg hinüber zur Ornamentik der Heinrichs-
kanzel in Aachen, zum Hezilokronleuchter in
Hildesheim und zu den allmählich in streng
romanischen Stile erstarrenden Rankenwerk
des Hildesheimer Scheibenkreuze bis zu der
unter byzantinischem Einflüsse wieder lebendig
werdenden Ornamentik der Rückseite des
Fritzlarer Frontales. Wir werden seiner Weiter-
entwicklung in den anderen rheinischen
Schulen noch begegnen.

Neben diesen Arbeiten der Flächenkunst,
die gleichsam als erste Übertragung der Buch-
kunst auf Metall und gleichsam als der An-
fang eines mehr plastisch und räumlich wirk-
samen Kunst betrachtet werden können, sind
die plastischen Werke der Reichenau von
ungleich größerer Bedeutung. Zu ihnen zählt
das prachtvollste Werk der Goldschmiedekunst
überhaupt, die Baseler Altartafel im Cluny-
Museum, deren Reichenauer Ursprung schon
von Haseloff vermutungsweise ausgesprochen
wurde, weil der Christus des oben erwähnten
Codex von Poussay nach dem Heiland der
Baseler Tafel kopiert ist. Das byzantinisierende
Rankenwerk dieses Meisterwerkes, die Halb-
figuren der Tugenden gehören ohne weiteres
in den Kreis der genannten Gravierarbeiten.
In diesem Werke bereitet sich in den Gestalten
Christi, der hh. Gabriel, Raphael, Michael und
Benedikt ein plastisch - malerischer Gold-
schmiedestil vor, wobei plastisch jedoch nur
in relativer Bedeutung gelten darf. Denn
diese Gestaltung ist vorerst nichts weiter wie
eine malerische Übertragung aus der Buch-
kunst in Goldarbeit. Der eigentlich plastisch-
 
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