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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Creutz, Max: Rheinische Goldschmiedeschulen des X. und XI. Jahrhunderts, [1]: Die Reichenau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0103

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171

1908. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

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räumliche Stil entsteht erst in der ersten Hälfte
des XII. Jahrh. in der Zeit des streng romani-
schen Stiles, wobei sich jedoch der plastische
Figurenstil erst ganz allmählich aus dem male-
risch-weichen der Buchmalerei loslöst.

Die Baseler Altartafel bietet eine Anzahl
von Anhaltspunkten, die eine Erweiterung der
Reichenauer Gruppe leicht gestattet. Ohne
weiteres ihr zuzuzählen sind das Baseler Gold-
kreuz im Berliner Kunstgewerbemuseum, mit
gleich breiter Steinfassung wie beim Nimbus
Christi von der Baseler Altartafel und bei dem
Heinrichsreliquiar in München, ferner der
Deckel des Codex von Poussay in Paris
mit den Gestalten Christi, der hh. Andreas,
Petrus und sonstiger Heiligen. Die große Be-
deutung der Buchmalerei der weit verbreiteten
Reichenauer Schule kommt auch in der Gold-
schmiedekunst in ähnlichem Umfange zum
Ausdrucke.

Die Einbände der Prachthandschriften selbst
wurden zunächst aufs reichste mit Gold- und
Edelsteinen verziert. Fünf der jetzt in München
befindlichen Prachtkodizes haben ihre kost-
baren Originalbände bewahrt. Von ihnen sind
drei (Cim. 57, 58, 59) durch ihre Malereien
als Arbeiten des Reichenauer Ateliers der
Ottonenzeit gesichert, eine vierte (Cim. 56)
ist wahrscheinlich auch Reichenauischen, aber
karolingischen Ursprungs. Die fünfte ist das
Sakramentar Heinrichs IL (Cim. 60.) 4)

Der kostbarste dieser Bucheinbände zeigt
getriebene Tier- und Vogelmotive in Ranken.
Edelsteine, Filigran, Perlen sind hier mit
feinstem Verständnis über den Goldgrund
verteilt, wie denn diese Arbeit überhaupt zu
den vollendetsten der Goldschmiedekunst gehört.
Ausschlaggebend für den Reichenauer Ursprung
dieses Prachtstückes, das nur aus einer Werk-
statt ersten Ranges hervorgegangen sein kann,
ist die feine orientalische Stilisierung der Tiere,
Vögel und Ranken, die auch in der Büch-
malerei der Reichenau wiederkehren. (Vergl.
die Münchener Handschrift Cim. 58 Titelblatt
zu Markus u.a.). Bei einem zweiten Münchener
Einband ist das Elfenbein der Mitte durch
einen breiten einfachen Goldrahmen eingefaßt,
der in feinem Kontraste zur weißen Masse den
Sinn der Ottonischen Zeit für die Wirkungen

*) Vgl. Arthur Haseloff ȟber Swarzenski,
Denkmäler der süddeutschen Malerei des frühen Mittel-
alters, Aus den Göttingischen gelehrten Anzeigen 1903,
Nr. 11, S. 884«.

des Materials charakterisiert. Im Zusammen-
hang mit dem erstgenannten Bucheinbande
muß auch das Essener Schwert genannt werden,
dessen feine getriebene Goldplatten fein stili-
siertes Rankenwerk mit Tieren zeigen. Das
Schwert ist vermutlich mit Otto III. 993 nach
Essen gekommen, wahrscheinlich als ein Werk
der Reichenau. In ähnlicher Weise wie das
älteste Kreuz des Essener Domschatzes, das
in der Feinheit und Weichheit der Modellie-
rung des Goldkruzifixes unmöglich in dem
noch barbarischen Norden entstanden sein
konnte. Auf dem Knauf des Essener Schwertes
kehren die gleichen byzantinischen Emails
wieder wie auf einem Buchdeckel des Aachener
Domschatzes. Auch die Reliefs dieses Deckels
mit Darstellungen der Geburt, der Kreuzigung,
der Auferstehung, der Frauen am Grabe und
den Evangelistensymbolen, stehen in der
großen Weichheit und der Lebendigkeit der
Bewegung mit der frühen Reichenauer Schule
des X. Jahrh. in Verbindung. Doch brauchen
sie nicht in der Reichenau selbst entstanden
zu sein. Auch die Altartafel des Aachener
Domschatzes, die mit dem Aachener Buch-
deckel verwandt ist, scheint zwar von der
Reichenau abhängig, kann jedoch in einem
Aachener Atelier selbst entstanden sein. Man
muß sich den Vorgang so vorstellen, daß von
der Reichenau, wie von einem Zentrum, künst-
lerisches und technisches Können ausstrahlte,
wobei die Klöster der Rheingegend natur-
gemäß am stärksten bedacht wurden. Schon
die romanischen Reliquiare von Reiningen im
Elsaß mit Figuren von Heiligen unter Rund-
bögen deuten den Weg an.

In den Kreis der Reichenauer Arbeiten
gehört vor allem noch ein Buchdeckel im
Louvre mit Emails, Steinen, Perlen, Filigran.
Der Johannes dieses Buchdeckels ist völlig
identisch mit dem Melchisedech des Trag-
altars im Cluny-Museum. Der Stil der Reiche-
nauer Arbeiten greift dann auch nach Nord-
deutschland über. Hierhin gehört ein Por-
table mit silbergetriebener Arbeit, Christus
und die Apostel darstellend, im Reliquienschatz
des Hauses Braunschweig-Lüneburg. Auch
ein Buchdeckel im Domschatze zu Essen
zeigt den Stil der Reichenau. Die Rückseite
trägt wieder Gravierungen im Stile der gleichen
Schule, deren Kunstkreis sich im Norden
weiter entwickelte. (Forts, folgt.)

Köln. Max Creutz.
 
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