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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Reiners, Heribert: Das Chorgestühl des Domes zu Köln, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0158

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275

1908. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

276

Prasser und armen Lazarus geschaffen, bei
dem solche Einzelszenen wiederkehren. Setzt
man rechts statt des Pilgers die Bettlerfigur
des Lazarus, so hat man eine Szene aus jenem
Gleichnis. Auch der Hund deutet auf diese
Anlehnung hin. Die Darstellung des Todes
war dem Mittelalter fast nur so bekannt (vgl.
dieselbe Szene auf einem Elfenbein der Samm-
lung Oppenheim in Köln). Die Sterbebüchlein
und die zahlreichen artes moriendi bieten
hinreichend ähnliche Schilderungen.

In die oberen Voluten sind auch hier zwei
Szenen eingeflochten. Links sitzt eine Frau
mit gesenktem Haupte vor einem Mönche,
der seine Rechte auf ihren Scheitel legt und
mit der Linken ihre gefalteten Hände faßt:
eine Darstellung der Buße, die so ehemals
gespendet wurde. Rechts ruht Simson arglos
im Schöße der Delila, die sich über ihn beugt,
und ihn mit einer mächtigen Schere der Locken
und dadurch der wunderbaren Kraft beraubt.
Auch hier der Gegensatz: Links bekennt die
Frau dem Manne, rechts vertraut der Mann
dem Weibe sein Geheimnis an, hier Ver-
schwiegenheit, dort Schwatzhaftigkeit,

Auf den Reliefs der gegenüberliegenden
Wange ist ein älterer Mann mit einem jüngeren
zusammengestellt, Lehrer und Schüler. Links
sitzen beide auf einer Bank.1) Der Lehrer
weist mit der einen Hand in ein aufgeschlagenes
Buch und hielt in der andern einen Hammer,
womit er an die Glöckchen schlug, die vor
ihm hängen. Der Schüler neben ihm prüft
in jeder Hand ein Glöckchen und ist von
dem Ergebnis, nach seinem lächelnden Aus-
druck zu schließen, sehr befriedigt. Es handelt
sich hier um eine Darstellung der Musik, die
so stets im Mittelalter wiedergegeben wurde.
Ausnahmsweise sind an dieser Wange auch
die Füllungen des unteren Feldes zu den
oberen Szenen in Beziehung gesetzt, indem
sie zwei junge Zentauren zeigen, den einen auf
der Guitarre spielend, den andern mit zwei
Glöckchen musizierend.

Auf der Nebenszene hält der Lehrer, der
wieder mit seinem Schüler auf einer Bank
sitzt, in der linken eine Schriftrolle und hat
die Rechte erklärend erhoben. Der Schüler
hat vor sich ein Buch, in das er seine Hand
legt. Die Deutung sei im Zusammenhang

') Abb. bei Pabst, »Kirchenmöbel des Mittelalters
und der Neuzeit«. Taf. II.

mit den Szenen der korrespondierenden Wange
der Südseite gegeben, die ebenfalls zwei sitzende
Paare zeigt.2) Auf dem rechten Vierpaß spricht
eine männliche Person auf ihre Nebenfigur
ein, belehrend oder unterhaltend. Zwischen
beiden steht eine Trinkschale und eine Flasche.
Auf der zweiten Szene hält die eine Figur
vor sich auf der Bank mit der linken Hand
ein Buch und hat die Rechte ausgestreckt.
Ihr Gegenüber hat im Gegensatz zu der korre-
spondierenden, ruhig dasitzenden Figur der
Nebenszene lebhaft beide Hände erhoben.
Sieht man in diesen beiden Paaren abermals
je zwei männliche Personen und deutet sie
wieder als Lehrer und Schüler, so könnte
man, mit den ersten Szenen in Verbindung,
an eine Darstellung des Quadriviums denken.
Aber diese Deutung hat ihre Schwierigkeiten,
vielmehr vereinen die letzten Bilder je eine
männliche und weibliche Figur. Auf der rechten
Szene ist dieser der Mantel heruntergeglitten,
und ihr langes Haar kommt zum Vorschein
im Gegensatze zu der Figur der Nebenszene,
deren Haupt von einem langen Mantel be-
deckt ist. Auch der Gesichtsausdruck spricht
für weibliche Personen. Es sei außerdem dar-
auf hingewiesen, daß jene Zeit bei weiblichen
Figuren die Füße gar nicht, oder nie weiter
bis zur Hälfte sichtbar werden läßt. Der
Künstler zeigt hier zwei kosende Paare, wie
er sie auf den Spiegelkapseln und Elfenbeinen
zahlreich wiederfand. Zumal die Trinkgeräte
führen auf solche Deutung hin. Auf der linken
Szene will die Frau ihr allzu zudringliches
Gegenüber abwehren, wodurch die Haltung
der Hände sich erklärt. Hätte der Bildhauer die
freien Künste darstellen wollen, so hätte er
sich deutlicher ausgesprochen und den Gegen-
satz in den Personen zwischen Lehrer und
Schüler auch bei der anderen Wange fort-
geführt. Vergleichen wir nun diese Szenen mit
den ersten, so finden wir den Künstler seiner
Grundidee treu, indem er hier geistliche und
weltliche Arbeit gegenüberstellt. Die Szenen
neben der Musik, hier wahrscheinlich Kirchen-
musik, wird man alsdann als Psalmengesang
deuten müssen. Die gleichmäßig wiederholte
Baldachinarchitektur weist darauf hin, daß wir
zwei Themen, die zur Kirche in Verbindung
stehen, vor uns haben, während bei den andern
Szenen zwei verschieden angeordnete Tuch-

2) Abb. bei Pabst, a.a.O. Taf. 11.
 
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