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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Firmenich-Richartz, Eduard: Zur Wiederherstellung des Clarenaltares
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0186

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325

1908.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

326

entsprachen, in seine ausdrucksfähigeren Typen
umgewandelt. Der innige Bezug aller Bilder
untereinander, die sich völlig entsprechenden
architektonischen Umrahmungen, die fort-
laufenden Reihen der Darstellungen, die neben-
einander die Passion und die Kindheit Jesu
in seltener Ausführlichkeit schildern, sprechen
durchaus für die Zusammengehörigkeit aller
dieser Arbeiten."

Diese Beobachtungen werden auch heute,
unter günstigeren Verhältnissen, durch Unter-
suchungen bei hellem Licht durchaus be-
stätigt, doch alle Schlüsse, die sich an diesen
Tatbestand knüpften, mußten irregehen, so-
lange die Übermalungen und ändernden Zu-
sätze als stilecht galten. Der Rißbildung ließen
sich keine entscheidenden Argumente ab-
gewinnen; es scheint, daß die alten Craque-
lüren auch durch spätere Krusten nach-
gebrochen sind. Erst beim Putzen ergab sich
die junge Herkunft der aufgesetzten Farben -
schichten. Erstaunlich, ja völlig rätselhaft
bleibt aber immer noch die unerhörte An-
passungsfähigkeit, mit der ein Epigone sich
hier in die Auffassung, die Gesichtstypen und
die Formengebung des beginnenden XV. Jahr-
hunderts so restlos einlebte, daß es ihm gelang,
Generationen erfahrener Kenner zu täuschen.
Und dabei ist nirgends ein peinliches Bemühen,
ein ängstlich gesuchtes Ansichhalten bei primi-
tiver Ausdrucksweise wahrzunehmen, keine
Schablone, keine sklavische Abhängigkeit in
der Wahl der Motive. Vielmehr waltet eine
sichere unbekümmerte Selbständigkeit, ein
ausgesprochener Sinn für Raumfüllung und
Abrundung der Figurengruppen. Die vor-
handenen ursprünglichen Kompositionen wur-
den geschickt benutzt, doch der Erneuerer
löst die Körper aus der Gebundenheit fester
Konturen; er mildert die hagere Schlankheit
der ausgeschwungenen Gestalten, indem er
die Silhouetten verbreitert; er erweicht und
belebt die Gesichtszüge zum Ausdruck freudigen
Staunens, der Andacht und Innigkeit. Der
fremde Geschmack bekundet sich auch in
recht eigenmächtigen Korrekturen, wenn regel-
mäßig das stark überhöhte Hinterhaupt der
Figuren anders umrissen und durch neue
Goldnimben zum Teil gedeckt wird, wenn
die Stellungen der Arme verändert und freier
wiedergegeben sind. Dies alles ist mit flotten
Pinselstrichen derb, fast flüchtig hingestellt und
selbst Naive tat und kecke Frische ist dem

unvergleichlichen Anempfinder kaum abzu-
sprechen. Mit unbeirrtem Gefühl weiß er stets
in den Anschauungskreisen der einmal ge-
wählten Stilphase zu bleiben, selbst mit dem
ganzen Rüstzeug der modernen Stilkritik war
ihm nicht beizukommen. Gründliche und vor-
urteilsfreie Forscher erkannten im Clarenaltar
mit Bestimmtheit die Handschrift des Meisters
der Münchener Veronika.

Um ein abweichendes Urteil sicher zu
fundieren, muß die Betrachtung des Stils sich
zunächst von einer genauen Prüfung des Zu-
standes der Gemälde und ihrer Technik ab-
hängig machen. Die naheliegende Annahme,
daß jener gewandte Bearbeiter, welcher Figuren
und Szenen souverän ummodelte, sich keiner
fremden, längst erstorbenen Formensprache
anpaßte, sondern mit dem Stil des anheben-
den XV. Jahrhunderts die eigene Auffassung
zur Geltung gebracht habe, kurz, daß auch
die Übermalungen noch aus der alten Zeit
herstammen, wird nur durch den Befund der
begonnenen Restaurierung hinreichend wider-
legt. Die Ergänzungen und Umbildungen
können nicht in historischem Sinn für original
gelten, da sie aus Gründen der Technik un-
möglich aus jener Epoche herrühren, als der
hier festgehaltene Stil sich noch in natürlicher
Entwicklung auswuchs und entfaltete. Es sind
täuschende Nachbildungen, denn wenn die
Übermalungen schon im ersten Viertel des
XV. Jahrhunderts aufgesetzt worden wären,
hätte die Frist seit der Vollendung des ur-
sprünglichen Werkes nicht zur langsamen Er-
härtung und tiefen Trübung der alten, brüchigen
Firnishaut ausgereicht, die allenthalben beim
Putzen unter den breitdeckenden, späteren
Farbenschichten trennend und schützend zum
Vorschein kommt. Kaum ein Menschenalter
jüngere Übermalungen lassen sich überhaupt
nach Ablauf von Jahrhunderten nicht mehr
glatt ohne Gefährdung des ersten Bestandes
von Werken alter Meister ablösen. Die sorg-
sam auf einer Grundierung mehrmals überein-
ander aufgetragenen und wohlvertriebenen
Farben echter Tafelbilder der verschiedenen
Techniken aus dem Mittelalter und der Re-
naissance pflegen stets im Laufe der Zeit zu ver-
schmelzen, sie emaillieren, und diese chemische
Verbindung schließt nach geraumer Dauer
die Entfernung stammesverwandter gleichartiger
Zusätze und Überarbeitungen ohne Schädigung
der ursprünglichen Substanz völlig aus.
 
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