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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Poppelreuter, Josef: Die Madonna mit der Wickenblüte, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0208

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367

1908.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. ]2

368

irgendwo zu weit zu gehen in der Aneinander-
reihung nachgeahmter Einzelheiten, vielmehr
das eine hierher, das andere dorther holt.
Für den Gesichtstypus gaben die heute noch
in Köln vorhandenen sogen. Schulbilder
Meister Wilhelms wie z. B. der Meister der
älteren Sippe Anregung genug. Die Madonna
wie die Stilfälschungen am Clarenaltar ver-
danken eben ihre langjährige Bevorzugung
dem Umstände, daß sie nichts als die Ver-
süßlichung der etwas derberen Formen der
bislang sogen. Schulbilder sind. Mitwirkend
sind für unseren Nachahmer wohl auch Bilder
der westfälischen Schule gewesen; manche Ge-
stalten des einen noch aus dem alten Bestände
herkommenden westfälischen Bildes unseres
Museums haben den Vorzug genossen, als
„geistiges Eigengut des Meisters des Clarenaltars
oder seiner Schule" bezeichnet zu werden (Janit-
schek p. 214). Das bei den Bildern Westfalens
hervorgehobene überhohe der Stirnen (S. 213) ist
bei unserer Maria bis zur Verzerrung gesteigert.
Wie die Gesichtsteile überzierlich in eine im
ganzen leere Fläche hineingesetzt sind, bemerkt
man besonders, wenn man unmittelbar dabei
die durch und durch echte und auch wenig
restaurierte Münchener Veronika aus der
Boissereeschen Sammlung in der schönen und
natürlichen Rundung des Gesichtes vergleicht.
Auch die dürren, überlangen Finger auf unserem
Triptychon sind eine manierierte Nachahmung
von eben jener Gruppe kölnischer und west-
fälischer Bilder.

Auffallend ist die Entlehnung bei dem so
originell erscheinenden Ausdruck des Kindes.
In eigentümlicher Deckung findet sich der-
selbe nämlich auf dem Bild eines mittel-
rheinischen Meisters vom Beginn des XV. Jahrh.,
Maria mit Heiligen, in der Galerie zu Darm-
stadt, herstammend aus der hessischen Stadt
Ortenberg (Klass. Bdsch. Nr. 49). Hier wird
eine Heilige von 2 Kindern geliebkost. Wäh-
rend nun das Kindchen unseres Bildes mit
dem einen in der ganzen Körperbewegung
übereinstimmt, gibt das andere die liebliche
Bewegung des Händchens unter das Kinn
der Mutter in derselben Fassung. Die Über-
einstimmungen sind so frappant, daß ich kaum
annehme, sie seien unabhängig voneinander.
Das bei unserem Gemälde schon von Aldenhoven
als bedenklich hervorgehobene Fehlen des
linken Arms des Kindes wird gerade durch
den Vergleich mit dem Darmstädter Bild be-

sonders fühlbar, weil der Nachahmer die
Natürlichkeit der dortigen Bewegung beider
Arme der Kindchen dadurch verfehlte, daß
er durch das Hinzufügen des Rosenkranzes
eine Variante zu liefern strebte, ohne die
Bewegung des Vorbildes aufgeben zu wollen.

Für die stehenden Heiligenfiguren der
Flügel standen anregende Vorbilder genügend
zur Verfügung. Nahe verwandt z. B. in der
Gruppierung erscheinen dieselben 2 Heiligen,
Barbara und Katharina, auf dem Bild in der
Darmstädter Galerie, Kreuzigung mit Heiligen
von „Meister Wilhelm", welches aus der
Sammlung v. Hüpsch aus Köln nach Darmstadt
gekommen ist (K.lass. Bdsch. Nr. 247). Dabei
variiert unser Maler die Attribute der Heiligen
leicht in Bewegung und Form. Der Katharina
gibt er das Schwert in die andere Hand, be-
hält aber die Wendung der frei gewordenen
Hand bei, welche dadurch das leere Motiv
des Zeigens annimmt. In Haltung und Gesichts-
typus gleichen unsere Figuren wiederum sehr
stark den beiden durchaus echten, wenn
auch übermalten Figuren im germanischen
Museum zu Nürnberg aus der Sammlung
Boissere'e. Anders woher mögen die Gewand-
motive genommen sein. Daß die Dornen-
krönung der Rückseite irgend einer Passions-
folge entlehnt oder aber aus dem Studium
verschiedener solcher zusammengestellt sein
könne, wurde schon oben bemerkt. Hier
boten ihm die Bilder in kölnischen Sammlungen
vom Meister Wilhelm'schen Schulstil in reich-
lichem Maße Vorbilder, welche er benutzen
konnte, ohne sich zu verraten, wofern er nur
einigermaßen geschickt variierte: die sogen,
kleine und die sogen, große Passion standen
zur Verfügung; selbst auch die Passion beim
Sammler Lyversberg konnte ihm hier für die
Erfindung Dienste tun, wenn er die Einzel-
heiten entsprechend stilistisch zurückbildete.

Kurzum wir sehen: es wäre unnütz, ein-
zuwerfen, in jener Zeit also etwa im 2.—3. Jahr-
zehnt des XIX. Jahrh. seien die Stilkenntnisse
für eine Neuschöpfung wie die unsere, nicht
weit genug entwickelt gewesen. Ein solcher
Einwurf unterschätzt das Intensive des Stil-
studiums befähigter ortseingesessener Altertums-
freunde und Künstler wie auch ihren Ausblick
nach verwandtem Material im weiteren Lande.1)

') Ich glaube durch meine Ausführungen die von
C. Voll in der »Köln. Volkszeilung« vom 23. 1. 1909
geäußerten Bedenken in etwa beseitigt zu haben.


 
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