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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 53.1902-1903

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Roessler, Arthur: Der Bund zeichnender Künstler in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.7001#0201

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Per Blind zeichnender Künstler in München.

feit, er hat auch Phantasie. Er ist einer, der nicht
von anderen verlangt, daß sie Phantasie haben sollen,
der selbst Phantasie hat. Er schafft seine köstlichen
Blätter ohne unmittelbares Modell. Ihm gilt die
Natur nicht als Zweck, nur als Mittel; daher trachtet
er nicht nach der unbedingten Naturwiedergabe. Er
arbeitet aus der Vorstellung heraus, aus einer Fülle
von Erlebtem, Erlittenem, Genossenem und Er-
fühltem. Naturnachahmung ist etwas Äußerliches,
Vorstellung etwas Innerliches; erstere ist manuell,
letztere intellektuell nach seiner Meinung, ksegenbarts
Merk nun ist intellektuell. Er geht nicht zur Natur,
um von ihr zu borgen. Die Natur! immer die
Natur! Nein! Die Aunst! Märe die Natur voll-
kommen, brauchte sie nicht die Aunst zu ihrer Ver-
klärung. Denn nicht die Natur verschönert die Aunst,
sondern die Aunst verschönert die Natur. Die Men-
schen wollen immer etwas Schöneres als die Natur,
aber die Natur verhindert die Ausführung all der
wundervollen künstlerischen Träume und Gedanken
in zu täppischer Roheit; sie ist töricht, stumpf und
geistlos. Die Natur ist das Unbewußte. Erst im
Aünstler koinmt sie zum Bewußtsein, und in seinem
Merk inkarniert sie sich in erträglicher Meise. Aünst-
lichkeit ist ein höheres, edleres, intellektuelleres Ziel
als Natürlichkeit. Natürlich kann jeder Trottel sein.

pegenbart ist es nicht darum zu tun, die be-
sondere Naturstimmung eines gewissen Tages künst-
lerisch auszudrücken mit allen ihren belanglosen,
winzigen Zufällen, nicht einmal seinen Eindruck von
der Natur und ihren abervielen Dingen, sondern
seine eigene Stimmung. Die Naturerscheinungen
nimmt 'er als Symbole seiner Stimmungen, seiner
Gedanken. Nicht erst in und vor der Natur beginnt
langsam eine Stimmung in ihm aufzutauchen, er
kommt nicht als ein Leerer zur Natur, er empfindet
sie bewußt und zuweilen mit dem ganzen panischen
Schrecken vor ihrer bewußtlosen Ungeheuerlichkeit.

Sein Verzicht auf das Vorbild wird bedingt
durch ein stets spielbereites Gedächtnis für die Er-
scheinungen. Menn die Behauptung richtig ist, daß
Phantasie das Ergebnis der Heredität, daß es ver-
dichtete Volkserfahrung ist, hat sich in Hegenbarts
Gedächtnis eine reiche Volkserfahrung aufgespeichert,
denn er ist ein überaus phantasievoller.

In manchen seiner Blätter vollzog sich die
wundersame Verschmelzung der Miedergabe von
Tatsachen aus der Einbildungssphäre, wie sie wirk-
licher und wesenhafter nicht gedacht werden kann,
mit der Darstellung von Dingen der Natur, die in
eine seltsame Höhe gehoben wurden aus ihrem lang-
weiligen, gewöhnlichen Dasein durch die Araft seines
Stiles; die Beseelung der Sinnesdinge, die Versinn-

lichung verborgenster Ereignisse des Geistes. Sei» Merk
ist aber darum nicht weniger wahr, als das Merk
eines kolophotographisch arbeitenden Naturalisten,
eher ist es wahrer, denn sein Merk hat die Wahr-
heit des Aunstwerkes. Welche Wahrheit begehrt man
denn vom Aunstwerk? Die Wahrheit des Alltags,
des Anscheins, der Oberfläche? Oder die eingeborene
Wahrheit, die dem Aunstwerk eigentümlich ist? Das
Aunstwerk bedarf zu seinem Wert und Bestand nur
der Wahrheit des Stiles, mag es nun der Ausdruck
eines Erlebnisses der Sinne oder des Geistes sein.

Hegenbart gehört zu jener Art von Aünstlern,
die vermöge ihrer transfigurationsstarken Aunst, durch
ihre Zeichnungen literarisch wirken, wie es Schrift-
steller gibt, die durch ihre Mortkunst malerisch wirken.
Er hatte schon früh, als Anabe, eine besondere Nei-
gung zur Schwarz-Meiß-Aunst, weil sie suggestiver
als die Malerei wirkt, und weil sie mehr Aunst ist,
Dinge nicht vortäuscht, sondern des Aünstlers Vor-
stellung von den Dingen graphisch darstellt. Bei
seiner eminenten Beherrschung der Technik der Ra-
dierung wäre es ihm ein leichtes gewesen, faszinierende
Blätter vom Meide in Ropsfcher, Beardsleyscher
oder Alingerscher Psychologie als vergiftende Teufelin,
als verseuchte Hetäre oder zerstörte Geliebte zu zeichnen,
und damit Aritiker und Publikum zu verblüffen. Er
wäre dadurch berühmt, und seine Blätter wären
Raras geworden; denn wie feit den Tagen der alten
Griechen nicht mehr, ist jetzt wieder das Meib der
Pol, um den sich alles dreht. — Aber Hegenbart
hat sich nicht dazu verstehen können, der Sensation
wegen etwas zu schaffen, er hat sich nicht unter
argen Aämpfen vom Illustrator zum Aünstler-
radierer durchgerungen, um nun das zu schaffen,
was anderen aus unkünstlerischen Gründen gefallen
würde. Er radiert nur das was er will. Es ist
ein reiches Gewimmel von Gedanken, Gefühlen und
Gestalten ihn ihm, dem er ohne irgendwelche Aon-
zessionen künstlerische Form verleihen will. Er will
nicht das Instrument sein, das anderer Leute Ein-
fälle darzustellen hat; durchaus eigener Aünstler,
ohne jede geschäftliche Spekulation will er sein, ist
er. Und so kommt es, daß er Sujets in seinen
Blättern behandelt, die dem Modegeschmack nicht
entsprechen. Zwei Dinge sind es, die charakteristische
Merkzeichen seines Wesens sind: rastloses faustisches
Trachten nach dem Dahinter der Masken, und un-
ermüdliches Streben nach Vollendung der Form.
Letzteres macht seine Blätter für jene, die weniger
auf das Mas als auf das Mie geben, interessant;
sie werden bereits von den sammelnden Liebhabern
mit behutsamen Fingern aus ihren Seidenpapier-
umschlägen herausgehoben, und auf ihre graphische
 
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