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Baumeister: das Architektur-Magazin — 9.1911

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Heft 10
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Oettingen, Wolfgang von: Vom spanischen Wohnhause
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https://doi.org/10.11588/diglit.54602#0131

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DER BAUMEISTER . 1911, JULI.

123

Verwendung von Eisen bei den
Baikonen und an den Galerien, die
die schmalen Höfe umziehen, und
von grossen Glasscheiben wird das
ältere, spanische Grossstadthaus
in den Geschäftsgegenden kaum
viel anderes bieten, als seine Vor-
gänger im Mittelalter und in der
römischen Kolonie dargeboten
haben, da die praktischen Pro-
bleme, nämlich die Anlage mög-
lichstvieler Wohnungen übereinan-
der und allenfalls die Einrichtung
von Kaufläden oder Werkstätten
im Erdgeschoss, von jeher die-
selben geblieben sind und zu allen
Zeiten, bis auf die neueste, in der
einfachsten, auf das absolut Not-
wendige zurückgeführten Form ge-
löst wurden. Also wiederum vier,
fünf Stockwerke mit Hofgebäuden
in gleicher Höhe, soweit das
Grundstück reicht, Ausnutzung
des Raumes auf Kosten der Höfe
und Treppenhäuser, regelmässige
Fensterreihen, luftige, wenngleich
enge Plätze auf Baikonen, Galerien
und Dächern, grösste Einförmig-
keit der Fassadenentwickelung,
und im allgemeinen eine leichte,


♦Arbeiterwohnhäuser in Bensheim für Kommerzienrat W. Euler.


♦Werkmeisterhäuser in Bensheim für Kommerzienrat W. Euler.

einen eigenen und starken Reiz: sie sticht
gewissermassen vornehm ab gegen unsern
überladenen Stilkultus und unsere plebejische
Wirtschaft mit längst abgegriffenen und trotz-
dem sehr anspruchsvollen Formen. Denn es
ist doch in der Tat geschmackvoller — falls auf
eine gediegene Ausserordentlichkeit verzichtet
werden muss — sich unauffällig und beschei-
den in die Reihen einzuordnen als mit vor-
dringlichen Surrogaten das Auge auf sich zu
ziehen. Auch macht sich das Bodenständige
an dieser Architektur, bei der wir nordische
Gemütlichkeit und Behaglichkeit nicht suchen
dürfen, energisch geltend: wir empfinden ihre
Harmonie mit der nationalen, südlichen Lebens-
weise, unter Umständen auch ihren sichtlichen,
organischen Zusammenhang mit der umgeben-
den Landschaft. Und vor allem ist wirksam,
was vermutlich niemand bei der Anlage dieser
Strassen und Städte im voraus berechnet hat:
das ungemein Malerische ihrer Gesamtwirkung.
Wir blicken in eine der engen, gewundenen

sogar oft ganz miserable Bauart,
bei der alles gute Material, wo es
anging, gespart wurde.
Wie zur Entschädigung für die
Monotonie solcher Stadthäuser hat
man dann die Villen in den Vor-
städten und auf dem Lande ge-
wöhnlich mit allen Freiheiten der
Laune und der Willkür ausgebildet
und, wo der Besitzer übel beraten
war, sehr lustige Ungeheuer vom
sonderbarsten Aussehen in Form-
motiven und Farben geschaffen.
Aber dergleichen Monstrositäten,
Bastardabkömmlinge von arabi-
scher, gotischer, barocker und
französischer Rokoko-Architektur,
erträgt man leicht zwischen Pal-
men, Orangen, Granaten und
Rosen in Fülle und unter dem
spanischen Himmel, der in jeder
atmosphärischen Stimmung über-
gewaltig ist.
Auch die Stadthäuser, selbst in
solchen Strassen die ganz aus-
schliesslich nach dem architek-
tonisch herkömmlichen und gleich-
gültigen Schema gebaut sind und
keine Kirchen oder Prachtgebäude
enthalten, wirken trotz ihrer Be-
scheidenheit keineswegs langwei-
lig. Gerade ihre Diskretion hat


♦Arch. Heinrich Metzendorf, Bensheim.

Werkmeisterwohnhaus in Bensheim für Kommerzienrat W. Euler.
 
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