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Baumeister: das Architektur-Magazin — 9.1911

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Heft 5
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Schur, Ernst: Die Dänische Ausstellung in Berlin: Raumkunst - Kunstgewerbe - Baukunst - Buchkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.54602#0316

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Beilage J2)ER BAUMEISTER MONATSHEETE für Architektur
1911, FEBRUAR IX.JAHRGANG, HEFT 5

Die Dänische Ausstellung in Berlin.
(Raumkunst — Kuntgewerbe — Baukunst — Buchkunst.)

Solche Ausstellungen, die über die künstlerische Arbeit
eines ganzen Volkes Zeugnis ablegen, sind Dokumente. Doku-
mente eines Zeitwillens, eines Zeitschaffens. Und insofern
dienen die Kollektivvertretungen dazu, über das Volk, das
sie veranstaltet, auszusagen. Ebensosehr aber orientieren
wir uns selbst daran; wir blicken zurück, indem wir Stationen
sehen, die wir zum Teil schon hinter uns haben, wir können
aber auch Zukunftsgeist verspüren, da die gute, geschmack-
volle Tradition
der Dänen oft
ein sensibles
Schmuckempfin-
den pflegt, dem
sich bereits eine
grosseScharvon
Künstlern, die
den Anschluss
an die Tradition
suchen, zuzu-
wenden begin-
nen. So findet
ein Austausch
von Ideen statt,
dernurfruchtbar
wirken kann.
Die Entwick-
lung ging in
Dänemark ziem-
lich die gleichen
Wege, wie in
Deutschland’.
Maler waren es,
die nach neuer
Bewältigung der
Aufgaben in
eigener Formen-
sprache streb-
ten. Sie warfen
sich zuerst auf
Einzelgebiete
des Kunstgewerbes, auf Keramik, auf Stickereien, auf Buch-
kunst. Als dieses Studium, das neben manchem Bleibenden
auch Misslungenes brachte, überwunden war, meldete sich
bald der architektonische Gedanke, der, wie in Deutschland,
'der Mannigfal-
tigkeit die Ein-
heit gab, der
sich das Ein-
zelne unterzu-
ordnen be-
ginnt. Es soll
nur kurz auf
die Ausstellung
hingewiesen
werden, die all-
gemeinen Ge-
sichtspunkte
sollen gegeben
werden. Die
Dinge, die hier
in so reicher
Auswahl vor-
handen sind,
sprechen für
sich selbst. Das
beweist, dass
sie ihren eige-
nen Charak-
ter haben. Im
LichthofRaum-
1 kunst und
Kunstgewerbe,
in den Nebensälen Baukunst und monumentale Malerei, in
der Bibliothek die Graphik.
Drei Momente charakterisieren die dänische, kunstgewerbliche
Arbeit. Die Dänen haben einen ausgesprochenen Sinn für Tradi-
tion und Stil. Allen diesen Gegenständen merkt man an: sie sind
nicht in einem neuen, kraftvollen Ringen entstanden. Was
ihnen an Kraft und Eigenarbeit abgeht, das ersetzen sie durch
eine feine, künstlerisch abgewogene Haltung, eine geschmack-
liche Ausgeglichenheit. Es ist darin ein fast weibliches Emp-
finden, eine sensible Anschmiegsamkeit. Und wir denken

daran, dass Jens Peter Jacobsen und Andersen in dieser
dänisch-weichen Luft lebten. Fast denkt man an Paris und
in der Tat, die Abhängigkeit von dem französischen Kunst-
empfinden, diese Freude an leisen, zärtlichen Nuancen, diese
Hingebung an die Eleganz der Allüren, wie sie sich im be-
sondern in den Nachklängen verflossener Stile äussern, fällt
auf. Man darf hier nichts „Nordisches“ erwarten. Hier ist
alles gedämpft, abgetönt. (Fast eine morbide Kultur. Eine
müde, lässige,
elegante Geste.
Damit hängt
aber zusammen,
dass noch ein
sicherer Grund
und Boden für
die Kunst und
das Kunstge-
werbe vorhan-
den ist. Das Alte
ist noch gegen-
wärtig, es lebt
noch. Sein Stil-
wert wird noch
empfunden und
erst allmählich
machen sich die
Künstler daran,
auf diesen alten
Stamm ein neues
Reis aufzupfrop-
fen. Diesistdann
die Kehrseite: in
den neuen Ver-
suchen lebt noch
die Unsicherheit
des Anfangs. Zur
, Neuschöpfung
gehört Energie,
Rücksichtslosig-
keit, ja Brutali-
tät, auch Beschränktheit und Glaube. .Diese Kultur aber mit
ihrer weltmännischen Note ist zu gebildet, zu feinfühlend,
zu an- und einempfindend, als dass sie Altes rücksichtslos
beiseite schieben wollte. Sie liebt ja diese alte Kultur.
Man darf darum nicht verschweigen, dass die däni-
schen Künstler, so-
bald sie neues wagen,
oft in Anlehnung zu
verharren scheinen, in-
dem sie Rokoko und
Biedermeier, auch die
Schwülstigkeit des Ba-
rock nachahmen; an-
dererseits befinden sie
sich da, wo sie eigenen
Formen zustreben, oft
noch in einem Stadium,
das wir glücklich über-
wunden haben, die Kin-
derkrankheit des Ju-
gendstils, der hier noch
einmal lustig zu leben
anfängt, also dass man
sich sagt, dies sei eine
naturnotwendige Ent-
wicklungsetappe, die
jedes Volk durchmacht
in seinem Kunstge-
werbe, was ja auch
logisch verständlich ist,
da die Abwendung vom
Stil zur Nachahmung
der Natur führt, womit
man merkt, dass doch
drängt.
Als drittes Moment (das mit den vorhergehend geschil-
derten zusammenhängt und mit ihnen aus einer Wurzel wächst)
ist die Gediegenheit der Arbeit auf allen Gebieten zu beach-
ten. Seien es Möbel, sei es Schmuck, oder Stickereien, oder
Bucheinbände, oder Keramiken, überall spürt man wohltuend
eine Delikatesse der Behandlung, die mit geniesserischer
Wollust über die Dinge die Hand gleiten lässt, sie formt u'nd

Arch. Alfred Grenatider, Berlin. »Haus Bousset, Nikolassee.




»Aus: »Muthesius, Landhaus und Garten“. Verlag F. Brucktnann A.-G., München.
 
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