Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 1.1922

DOI Artikel:
Fischel, Oskar: Eine Bildnnisstudie von Andrea del Sarto
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.52117#0049

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
EINE BILDNISSTUDIE VON
ANDREA DEL SARTO
Rötel auf graugelblichem Papier. Hoch 23 cm, breit 17 cm. Ecole des Beaux-Arts.
OSKAR FISCHEL
Bildnisstudien zu bestimmten Porträts sind uns ganz selten aus der
Renaissance überliefert. Um so willkommener wird es sein, einen der
größten Florentiner Zeichner des Cinquecento beobachten zu können,
wie er die Natur studiert und seine Studieneindrücke im Bild verwertet und
variiert. Es gibt wohl von Andrea eine Anzahl besonders schöner Frauen-
bilder in Rötel; meist stellt er in ihnen schon Haltung und Komposition als
Ganzes fest. Aber hier sind Studie und Bild von einer Intimität, die sich unter
seinen Porträts höchst selten findet.
In Rötel hielt er auf dem Louvre-Blatt das junge Mädchen in einer für sie
auf Augenblicke charakteristischen Haltung fest: mit jener Verlegenheit, in
der sich vor dem verhaltenen Humor des Malers so oft ein liebenswürdiges
junges Modell gezeigt hat, und die den Reiz berühmter Porträts, wie der
„Bella“, der „Donna Velata“ des Czartoryski-Raphael und noch des „Blue
boy“ ausmacht, scheint sich das Wesen des Mädchens dem Beobachter ent-
ziehen zu wollen. Diese Intimität ist in der auf plastische Würde arbeitenden
Florentiner Schule sehr selten und neu: in solchen Zügen hat man bei Andrea
del Sarto die Anzeichen von Zersetzung sehen wollen, während sie doch
tatsächlich über das akademisch gewordene Florentinertum hinaus in eine
neue Zeit weisen. Er zeigt sich hier künstlerisch ganz selbständig und sein
Blick muß im großherzoglichen Florenz auch sozial unbeirrt von der alles in
spanischer Grandezza sehenden Manier gewesen sein. Noch das ausge-
führte Porträt hat bei allem monumentalen Aufbau und aller ornamentalen
Einfügung in den Rahmen diese Intimität. Wie das Mädchen im Stuhl mit
einem beschränkt koketten Blick die Wirkung einer beziehungsvollen Stelle
in Petrarcas Sonett: „Ite caldi sospiri al freddo cuore“, bei dem, für den ihr
Bild bestimmt ist, zu erspähen sucht, hat etwas von dem bürgerlichen Milieu,
das man in Hendrikje-Porträts findet. Es ist gewiß kein Zufall, daß der ein-
zige malerische unter den Florentinern daraufkam, solche verstohlene
Stimmungen in seinem Sfumato ahnen zu lassen. Er bringt es dabei, für
den Italiener gewiß selten, zu einem dumpfigen Geruch von bürgerlicher
Atmosphäre, ohne freilich in die Rembrandtschen Tiefen hinab zu wittern.
Für die Zeichnung posierte das Mädchen vor ihm im Hauskleid, und wie
sie verlegen in sich zusammenkriecht, hat ihn die weiche Lagerung ihrer

32
 
Annotationen