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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 1.1922

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Suida, Wilhelm: Analoge Erscheinungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.52117#0130

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ANALOGE ERSCHEINUNGEN
WILHELM SUIDA
Die Kunstwerke, die wir sammeln, mit denen wir uns umgeben, zwischen
denen wir leben, sind ein Stück von uns selbst, sie hängen mit uns
auf notwendige und geheimnisvolle Weise zusammen. Was wir von
Werken älterer Kunst in seiner Bedeutung „entdecken“, daß es uns wie
Schuppen von den Augen fällt, ist eine Tat unseres Geistes, so wie die Werke,
die unsere Zeit durch die Hand lebender Künstler hervorbringt.
Jenen den Gräbern des Fay um entstiegenen Bildtäfelchen, die seit Jahr-
zehnten schon bekannt und im archäologischen Wissen katalogisiert waren,
wendet sich die große Schar der Kunstfreunde in einem Augenblicke zu, wo
die Kämpfe und Wandlungen modernen Kunstschaffens jeden künstlerisch
Interessierten zu Nachdenken und eigener Stellungnahme aufwecken müssen.
Die Auseinandersetzung zwischen der naturalistischen, im Impressionismus
sich auswirkenden Strömung und einer zweiten, die Ausdruckswerten zuliebe
erforderlichenfalls vom gegebenen Naturbilde abweicht (Expressionismus),
ist in den Werken unserer Zeit so bestimmend für alle Erscheinungsformen
der Malerei, Graphik und Plastik, daß wir alles Entstehende gemäß seiner
Neigung nach der einen oder anderen Seite registrieren können. Am klarsten
lassen sich diese divergierenden, aber dann doch wieder auf mannigfache
Weise sich verbindenden und kreuzenden Strömungen im Porträt erkennen,
gerade weil hier das künstlerische Bekenntnis über ganz bestimmte, in der
äußeren Natur gegebene Objekte vom Künstler verlangt wird. Es wäre denk-
bar, daß ein und dieselbe Person von Lenbach, F. A. Kaulbach, Monet, Hodler,
Klimt, Kokoschka gemalt worden wäre. Die ungeheuren Kontraste dieser
etwa auf ein Jahrzehnt zusammenzudrängenden Bildnisse kann man sich für
die Phantasie leicht vorstellen. Wohl wären qualitative Abstufungen möglich,
gewiß nicht aber eine Bevorzugung einer Richtung der Porträtdarstellung als
der schlechterdings allein berechtigten.
Die große Lehrmeisterin aller kunsthistorischen Betrachtung, die lebende
Kunst, gibt auch für die Auffassung der Mumienporträte aus dem Fayum die
wertvollsten Aufschlüsse. Diese auf den ersten Blick so gleichförmigen Täfel-
chen bergen tiefgreifende Gegensätze künstlerischer Gestaltungsart. Nur durch
diese Erkenntnis vermögen wir auch den einzelnen Stücken gerecht zu werden.
Wohl bestehen gewisse qualitative Unterschiede, es wäre aber gründlich ver-
fehlt, aus der Menge einige treffliche Stücke herauszunehmen und alle übrigen
als Dutzendware, handwerklich vergröberte Erzeugnisse, die an die Feinheit
einiger Vorbilder nicht heranreichen, abzutun. Schon die eigentlich naturali-

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