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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 1.1922

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Bercken, Erich von der; Mayer, August Liebmann: Einige Unbekannte Werke des Jacopo Tintoretto
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https://doi.org/10.11588/diglit.52117#0272

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EINIGE UNBEKANNTE WERKE
DES JÄCOPO TINTORETTO
ERICH V. D. BERCKEN UND AUGUST L. MAYER
Die Entwicklung, die Tintoretto in den letzten Jahrzehnten seiner Tätig-
keit durchgemacht hat: die Wandlung von dem spielerisch-leichten
Stil, wie ihn zahlreiche Werke der siebziger Jahre aufweisen, zu einer
großzügigen Vereinfachung aller Formen läßt sich durch nichts deutlicher
illustrieren als durch zwei Bilder, die jüngst in den Besitz eines Münchner
Kunstsammlers gelangt sind (Tafel XCII und XCIII). Das frühere der beiden Bilder
ist eine der bei Tintoretto so beliebten, auch von Ridolfi öfters erwähnten
Darstellungen von Susanna und den beiden Alten: vorn rechts auf einer
von einem roten Tuch bedeckten Steinbank sitzt Susanna, den linken Arm
auf gestützt, mit der Rechten ein weißes Tuch hochhaltend, das eine Dienerin
mit der linken Hand am anderen Ende erfaßt hat. Diese Figur der Dienerin
zeigt die bei Tintoretto so oft wiederkehrende, ein wenig unklar schwebende,
halb sitzende, halb schreitende oder stehende Haltung. Eine zweite Dienerin
naht mit einem Toilettespiegel. Rechts im Hintergründe des Gartens — die
Szene spielt sich in einem Park ab — werden die Köpfe der beiden Alten
sichtbar, die — auch das ist für Tintoretto ungemein charakteristisch — im
Ausdruck nicht die geringste Anteilnahme zeigen.
Vergleicht man diese Darstellung der Susanna mit den anderen von Tinto-
retto gemalten Bildern des gleichen Gegenstandes, die sich im Louvre, im
Prado und im Wiener Staatsmuseum befinden, so ist die Analogie mit der
Wiener Darstellung am augenfälligsten (der Park mit den darin verstreuten
Schmuck- und Toilettegegenständen kehrt hier wie dort wieder), wenn auch
das Münchner Bild keineswegs jene Zartheit und Sorgfalt der Ausführung,
jene Durchsichtigkeit der Karnationsbehandlung, zeigt, wie die Wiener Dar-
stellung, sondern eine skizzenhaftere Art und hierin dem Pradobild näher-
steht, mit dem es auch das kleine Format teilt. Das bekannte Gemälde im
Louvre in seiner ein wenig schwerer monumentalen Haltung darf unzweifel-
haft als die früheste Susannendarstellung des Meisters angesehen werden.
Bei der großen Unsicherheit, in der sich die Tintorettoforschung immer noch in
den Fragen der Datierung der Werke des Meisters befindet, ist es natürlich nicht
ganz leicht, die Entstehungszeit der Münchner „Susanna“ genau zu fixieren.
Mit Sicherheit kann angenommen werden, daß sie nicht der früheren Zeit des
Meisters angehört; schon der artifizielle Charakter der Komposition verbietet
eine frühe Datierung. Auch die Zeit, in der der Meister, unter dem Einfluß des
Michelangelo, zu einer oft nicht von Gewaltsamkeit freien, gelegentlich ein wenig
schweren Monumentalität neigte, darf als ausgeschlossen gelten. Am wahr-
scheinlichsten scheint uns die Entstehung in der zweiten Hälfte der sechziger

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