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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 1.1922

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Lanz, Otto: Ein Tizian-Porträt in Holland
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https://doi.org/10.11588/diglit.52117#0026

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EIN TIZIAN-PORTRÄT IN
HOLLAND
OTTO LANZ

Da seit den Tagen Rembrandts kein Bild von Tizian in Holland ge-
wesen, der Altersstil der beiden Großmeister aber einander nahe ver-
wandt ist, so ist es gewiß erfreulich, daß es dem holländischen Kunst-
freund heute wieder möglich ist, im eigenen Lande ein Tizian-Porträt zu sehen.
In dieser Tatsache findet denn auch der folgende Hinweis, finden die folgen-
den Zeilen ihre Rechtfertigung.

Eigentlich hatte ich mir das Wort gegeben, keinen unbekannten Raffael
oder Tizian in Privatbesitz mehr ansehen zu gehen: . . . von 25 solchen Raffaels,
die ich im Laufe von 25 Jahren gesehen, waren 25 keine Raffaels, zumeist
sogar recht schwache Kopien recht bekannter Bilder; von 25 Tizians
waren 24 ebenfalls Kopien oder Atelierbilder; mit die schwächsten derselben
waren jedenfalls die vor einigen Jahren von einem Maler entdeckten „Tizian-
Porträts“ in der Residenz in München! Den 25. aber, der mir im Laufe des
letzten Sommers zu einem sehr verständigen Preis offeriert wurde, erkannte
ich schon in der guten, großen Photographie als wahrscheinlich echt. Die
Hand allein schon — abgesehen vom schlagenden Gesamteindruck — erschien
mir so sehr als die Signatur des Meisters, daß ich es wagte, das Bild einem
meiner holländischen Freunde mitzubringen.
Dargestellt ist der heilige Dominikus, Hüftfigur von vorn gesehen. Der
kahle, bärtige Mönch mit schwermütig sinnendem Ausdruck, leicht nach rechts
geneigt. Im linken Arm liegt die Lilie. Die linke Hand hängt lose über die
Stuhllehne; die Rechte nicht sichtbar. Über dem weißen Untergewand trägt
der Heilige die schwarze Kutte: die Farben des Dominikanerordens. Dunkler,
grau-monotoner Hintergrund. Auf Leinwand. Maße: 92 : 76 cm.
Der Jugendstil Tizians, wie wir ihn z. B. in dem allgemein bekannten „Zins-
groschen“ der Dresdner Galerie (1514 oder 1515), der „Flora“, der „himm-
lischen und irdischen Liebe“ kennen lernen, ist glatt; aber doch nicht mit der
Glätte des frühen Rembrandt zu vergleichen. In der Spätzeit kommen sich
Tizian und Rembrandt überraschend nahe. Das kam mir besonders an-
schaulich zum Bewußtsein, als ein glücklicher Zufall es fügte, daß ich gleich-
zeitig mit dem eben beschriebenen Bild ein wundervolles Spätporträt Rem-
brandts bei mir im Hause hatte, das ein italienischer Graf über Amsterdam
nach London brachte.

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