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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 1.1922

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Mayer, August Liebmann: Zwei Skulpturen des 14. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.52117#0031

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ZWEI SKULPTUREN DES
14. JAHRHUNDERTS
AUGUST L. MAYER
So bekannt Spaniens Reichtum an Werken der frühniederländischen
Malerei ist, so wenig weiß man in weiteren Kreisen, daß während des
ganzen Mittelalters französische Skulpturen in ähnlicher Weise nach
Spanien importiert wurden, wie im 15. und frühen 16. Jahrhundert niederlän-
dische Tafeln, daß französische Künstler selbst auf spanischem Boden hervor-
ragende Meisterwerke geschaffen haben. So finden wir noch heute, wo bereits
schon manches wertvolle Stück ins Ausland abgewandert ist, in spanischen
Kathedralen und Privatsammlungen köstliche Schöpfungen französischer
Gotik. Die Sammlung D. Luis Plandiura in Barcelona, die heute die reichste
und bedeutendste Kollektion spanischer Kunst des Mittelalters genannt werden
muß, enthält auch einige erlesene nichtspanische Stücke. Unter diesen steht
die Elfenbeinmadonna, die wir hier veröffentlichen, obenan. Diese Gruppe
der sitzenden Madonna, die dem auf ihrem Schoß stehenden Christkind eine
Blume reicht, besitzt noch etwas von der Großartigkeit der französischen
Frühgotik, sie ist mehr von einer zarten, verhaltenen Anmut beseelt als von
der rein spielerischen Grazie, die wir bei den meisten Elfenbeinmadonnen
des 14. Jahrhunderts finden. Sie ist noch frei von all der puppenhaften Nied-
lichkeit und etwas leeren Gefälligkeit so vieler Exemplare der damaligen
zahlreichen französischen Ateliers, sie ist kein gewöhnlicher Exportartikel,
sondern die erlesene Arbeit eines bedeutenden Künstlers. Man darf wohl an-
nehmen, daß das Stück nicht viel später als um die Mitte des 14. Jahrhun-
derts entstanden ist, eher ist eine frühere Datierung möglich. Die relativ
ältere Stilstufe wird besonders klar, wenn man das Stück mit der berühmten
Elfenbeinmadonna der Sammlung Carrand im Bargello vergleicht.
Ein zweites Stück der gleichen Sammlung ist vorläufig noch ein kunsthisto-
risches Rätsel. Unbestreitbar ist die außerordentliche künstlerische Qualität
dieser Plastik. Es ist eine stehende Madonna aus Marmor, unterlebensgroß,
ausgezeichnet erhalten, mit Resten der alten Bemalung und Vergoldung. Das
Werk wird vielfach für spanisch gehalten, einige Kenner haben es nach
Frankreich setzen wollen. Sicher ist jedenfalls, daß diese Madonna von jedem
bekannten französischen Typ abweicht und höchstens in der Madonna von
St. Just in Narbonne eine entfernte Verwandte besitzt. Man spürt sofort etwas
Fremdartiges in dem Werk, ein Element, das weder französisch noch spanisch
ist, und dieses Element glaube ich als italienisch bezeichnen zu dürfen. Es
haben Italiener aus der Schule Pisanos sowohl in Barcelona wie in Taragona
gearbeitet. Auch sonst ist in der katalanischen Plastik des 14. Jahrhunderts

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