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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 1.1922

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Suida, Wilhelm: Analoge Erscheinungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.52117#0131

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stischen Stücke sind bei ungefähr gleicher Qualität sehr verschieden in der
ihnen zugrunde liegenden Auffassung. Da finden wir z. B. einen sorgfältig
modellierten Kopf eines kurzbärtigen Mannes, welcher im Schaffen eines Len-
bach sein Analogon findet, während die anmutige junge Frau (Tafel XXXIV r.)
noch an die Biedermeiergrazie, ja in der leicht sentimentalen Note entfernt an
Werke des Greuze gemahnt. Im Berliner Museum existieren die Mumienporträte
der Frau Aline (Nr. 11.411), einer Tochter der Aline (Nr. 11.412), einer jungen
Frau (Nr. 11.752), sämtlich auf Leinwand gemalt, und das Holztäfelchen eines
bärtigen Mannes (Nr. 11.673), noch an der Mumie befestigt, treffliche Werke,
welche die farbenreiche, bewegungsvolle Modellierung eines Rubens aufweisen.
Der in der Sammlung Graf durch einige weitere treffliche Beispiele (etwa
2 und 4) repräsentierten naturalistischen Gruppe stehen dann zahlreiche und
untereinander sehr verschiedenartige Stücke gegenüber, deren einziger ge-
meinsamer Zug darin besteht, daß neben, bisweilen über der einfachen Wieder-
gabe des Naturvorbildes ein künstlerischer Formwille sich geltend macht, der
zugunsten der Betonung gewisser Ausdrucksfaktoren (z. B. Vergrößerung des
Auges) viele Züge des individuell Persönlichen wegläßt, bisweilen die Formen
des menschlichen Kopfes zeichnerisch im Sinne eines Ornamentes stilisiert,
ein andermal in pastosem Farbenauftrag die veränderlich flüchtige Erschei-
nung zur Dauer bannt.
Diesen Stücken der zweiten Gruppe wird man am leichtesten dadurch gerecht
werden, daß man die in ihnen nachklingenden künstlerischen Strömungen
sich an Erscheinungen unserer Tage zu deuten sucht. Es ist möglich,
ohne jegliche willkürliche Gewaltsamkeit ein jugendliches Frauenköpfchen
(Tafel XXXIV1.) neben ein Bild von Manet zu stellen oder den Kopf eines
Felachenknaben (Tafel XXXIII1.) neben einen Gauguin, der junge Mann mit
der feingeschnittenen schmalen Nase (Tafel XXXVIII und XXXIX) wäre fast
als Werk Hodlers denkbar. Erlauben einzelne Stücke noch an Mardes zurück-
zudenken, so möchte man einem Vallotton des dritten Jahrhunderts die ältere
Frau (43), einem Munch der römischen Kaiserzeit die junge Frau (40) zu-
schreiben, bei dem lebensfrischen, jungen, noch an der Mumie befestigten
Frauenbilde an Corinth denken. Und wie wäre es möglich, dem neuen Kunst-
wollen gerecht zu werden, das sich in den zeichnerisch strengen Stücken,
wie dem Mädchen (38), der Frau (Tafel XXXVII), dem Jüngling (7), dem
schwermütig dreinschauenden jungen Manne (47) manifestiert, ohne sich
der Parallelerscheinungen zu erinnern, die wir in Werken eines Henri Matisse,
Henri Rousseau, Paula Modersohn (Tafel XL), Stanislaus Stückgold, Pablo
Picasso und vieler anderer kennen.
So unvollkommen auch immer alle Vergleiche über Jahrtausende weg sein
müssen, so ist es doch eine Pflicht der Gerechtigkeit nach beiden Seiten,

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