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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 1.1922

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Neue Bücher über Kunstwissenschaft
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Gregor, Joseph: [Rezension von: Museion]
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https://doi.org/10.11588/diglit.52117#0112

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eines großen Sammelwerkes, das auf den ungeheuren Kulturschätzen dieses durchaus
europäischen Instituts fußen sollte. Die Gründung war in einem Zeitpunkt, der nicht ein-
mal mehr den einfachsten Lebensbedürfnissen Rechnung trug, etwas seltsam, beinahe
lächerlich. Sammelwerke sind große, in „gesicherter Zeit“ entstehende Erscheinungen,
wie die von amerikanischen Universitäten, von Museen, von Expeditionen, von Akademien,
die sich überragenden Schutzes erfreuen. Dieser fehlte. Die neue Gründung war aus einer
Begeisterung für die alte Sache geboren, weiter nichts. Eine Umfrage unter den derzeitigen
Verwaltern dieses alten Erbes ergab fast durchweg lateinische und griechische Titel als
Vorschläge. Der am wenigsten zeitgemäß war, wurde gewählt: Museion, demonstratives
Dokument attischen Geistes. Die innere Organisation war — charakteristisch für den
sozialen Zug der Zeit, der bis zu diesem Punkt vordrang — eine Gelehrtenrepublik mit
zwei Redakteuren als Konsuln an der Spitze. Es fand sich — zur Ehre sei’s gesagt —
ohne Mühe aus mehreren gleich anerkennenswerten Bewerbern ein Verlag1, der der
Gründung das materielle Fundament ausgiebig verlieh.
Dies war 1919 und 1920. Heute sind fünf Werke bereits erschienen, drei weitere unter
der Presse, das Erscheinen von vier folgenden ist absolut gesichert. Und verschwände das
Werk auch wieder, was als Fatum von Sammelwerken gilt, so könnte nicht mehr ge-
leugnet werden, daß man sich in den traurigsten Übergangs]ahren des angeblich ver-
nichteten Österreich gerade hier des Geistes der Renaissance besann. Denn mit vollem
Fug steht ein Werk an der Spitze, das in einem großen Folianten mit 52 schönen Licht-
drucktafeln über die „Griechischen Schreiber“ spricht. Hier wird das Material, das etwa
Cereteli und Sobolevski für Petersburg und Moskau, Omont für Paris gaben, für Wien
modern ergänzt — Denkmäler klassischer Schriftkunst in unserem Norden. Diese Auf-
fassungsart ist charakteristisch: So wird die ganze Serie von Werken, die der Barock-
kultur, also der augenblicklich am meisten diskutierten Phase gelten, darnach orientiert,
die Auswirkung des südlichen Renaissancegedankens in unseren Breiten sehen zu lassen
(Das Theater der Renaissance in seiner Fortwirkung, Erstausgabe der Werke des großen,
fast unbekannten Barockdichters Kurz-Bernardon, Geschichte des Gesellschaftstanzes usw.).
Aber am interessantesten wird die Stellung des Museion, wenn eigentlich orientalische
Themen behandelt werden. Auch hier läßt der groß angelegte Katalog der hebräischen
Handschriften oder das Arabikum: Buch der Abbildungen der Länder, schon heute er-
kennen, daß es abendländische, humanistische Wissenschaft ist, die jenes Material be-
herrscht und verarbeitet.
Ihren Zenit erreichte die Idee dieses Sammelwerkes wohl im „Rosenroman“ des Guillaume
de Lorris, einer Neubearbeitung dieser herrlichen Dichtung in deutscher Sprache auf der
Grundlage der Handschrift der Bibliothek und ihrer Miniaturen. Hier erstand mit vollem
Bewußtsein ein Werk westlichster Gotik neu — wir warten es gerne ab, ob Frankreich
mit der Edition einer deutschen Handschrift erwidert. Und ganz im Sinne der Grundidee
soll nunmehr eine Renaissancehandschrift italienischen Ursprungs gegenübertreten:
Petrarcas „Triumphe“ mit ihren vom höchsten Geist florentinischer Bildnerei genährten
Miniaturen.

Man erkennt schon aus dieser lockeren und unvollständigen Gruppierung das Programm,
das übrigens ein ganzes Buch in nicht weniger als 15 Essays fast aller beteiligten Ver-
walter des hohen Gutes dartat. Dieses Programm ist unbedingt europäisch, kosmopolitisch
über alle etwa noch bestehenden Gegensätze hinaus und westlich im Sinne der eigenen,
1 Verlag Ed. Strache, Wien, Prag, Leipzig.

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