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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 1.1922

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Suida, Wilhelm: Analoge Erscheinungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.52117#0133

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auf diese Analogien hinzuweisen. Den Alten wird ein Strom warm pulsierenden
Lebens zugeführt, die noch so vielfach mißverstandenen Bestrebungen der
Neuen werden dadurch mit einem Male als das enthüllt, was sie wirklich
sind: Ausdrucksformen, die mit tiefer Notwendigkeit in dem Wandel der
Jahrhunderte und Jahrtausende verankert sind, erhaben über die willkürliche
Bizarrerie eines einzelnen Künstlers.
Die Erkenntnis, daß unsere Zeit in den nachchristlichen Jahrhunderten ihr
welthistorisches Gegenstück findet, ist heute schon so allgemein eingewurzelt,
daß unsere Feststellung analoger künstlerischer Erscheinungen Wenige über-
raschen dürfte. Um so wichtiger ist es aber, der Verwirrung entgegenzutreten,
die ein zwar verblüffendes, aber nicht wirklich geistreiches Buch in den Köpfen
vieler Halbgebildeten hervorzubringen fähig scheint. Die Lehre von den iso-
lierten lokalen Kulturen, deren jede Anfang und Ende, Blüte und Verfall auf-
wiese, könnte unseren Mumienporträten nur die Stelle am Anfang der magi-
schen Kultur der Araber geben, wogegen wir selbst im Ausgange der west-
europäischen Kultur leben. Offenbar Analoges soll einmal Knospe, ein andermal
sinkende Frucht sein? Dies unserer offenbaren Wahrnehmung widersprechende
Ergebnis ermahnt uns, im großen kunstgeschichtlichen Zusammenhänge die
Begriffe von Blüte und Verfall, die ja immer nur willkürliches Werturteil sind,
auszuschalten. Den Mumienporträten werden wir nicht gerecht, wenn wir sie
als letztes Aufflackern antiken Kunstgeistes auffassen oder wenn wir in ihnen
die Morgenröte arabischer Kultur sehen, sondern nur dann, wenn wir sie als
bedeutende Erscheinung an sich auf uns wirken lassen, als monumentales
Zeugnis einer Zeit, die der unseren in mehr als einer Beziehung analog ge-
nannt werden darf.

The interest, with which our present age turns towards the mummy portraits
from the Fayum, is interpreted by the Observation that tendencies of form
are here expressed closely related to the artistic volition of our days. Im-
pressionistic as well as neo-impressionistic traits can be traced in these
portraits, and astonishing analogies to the works of Manet (Fig. XXXIV L),
Gauguin (Fig. XXXIII L), Hodler (compare Fig. XXXVIII and Fig. XXXIX),
Valloton, Munch, Modersohn (Fig. XL) are brought into view. Thus, in the
history of the world, our age is the counterpart, even in the art of portraiture,
as well as in many other respects, to the first centuries after Christ.

Belvedere I

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