Der unbekannte Maler der kleinen Bilder in Neapel und Berlin, in dem sich
deutsche und französische Elemente vereinigen, steht dem Konrad Witz weniger
nahe als der Autor des doppelseitig bemalten Flügelbildes der Galerie Cook
in Richmond, „Knieende Magdalena vom Noli me tangere“ innen, eine
gewandete männliche Figur außen, das ich vor Jahren einmal als Werk des
Witz selbst publiziert habe1. Dieses Stück steht dem Künstler tatsächlich so
nahe, daß die Witz-Forschung allen Grund hätte, sich damit ernstlich zu
beschäftigen.
Die der Kunst des Witz vorausgehende Stilstufe war in mehreren aus ver-
schiedenen Teilen Süddeutschlands zusammengetragenen Stücken vertreten.
Ein markantes und geographisch naheliegendes Stück, wie die „Madonna
mit den Erdbeeren“ in Solothurn, fehlte. Der Baseler Ursprung war bei einer
Steinigung des Stephanus und Anbetung der Könige sehr zweifelhaft — ich
möchte zum Vergleich auf ein ganz ähnlich komponiertes Tafelbild des Ste-
phanusmartyriums im Museum zu Klagenfurt (Kärnten) hinweisen —; manchen
schwäbischen Stücken trat ein sehr anmutiges fränkisches, nach W. Stork
dem Berthold von Nördlingen nahestehendes Bild der „Madonna im Rosengarten
mit der heiligen Katharina“ an die Seite.
Ganz wichtig und eine besondere Überraschung der Ausstellung war ein
Kreuzigungsaltar aus dem kantonalen Museum in Frauenfeld (Tafel LIV
und LV). Einer ganz deutschen, kraftvoll schweren Figurendarstellung ver-
bindet sich hier eine höchst eigenartige, durch niederländische Anregungen
geförderte, aber keineswegs bloß nachgeahmte Landschaftsauffassung, die vor
der Kühnheit höchst eigenartiger Beleuchtungseffekte nicht zurückschreckt. Der
Art eines Witz steht dieses vom Katalog vermutlich richtig um 1450 angesetzte
hochbedeutende Werk durchaus selbständig gegenüber. In der Ausstellung selbst
befand sich kein Werk gleicher Richtung, wohl aber bewahrt die Akademie-
galerie in Wien ein Kreuzigungsbild — bei dessen Bestimmung man bisher
ratlos zwischen den Niederlanden und Österreich herumgeirrt ist, ohne einen
festen Anhalt nachweisen zu können —, das vielleicht nicht gerade der
gleichen Künstlerhand, sicher aber genau der gleichen Richtung angehört
(Nr. 555 des Katalogs von 1900). Farbige Haltung, besonders die bräunlich-
graue, flächig angelegte Landschaft mit den lilabräunlich hineingezeichneten
Architekturen, ferner raffinierte Wirkungen, z. B. der gläserne Kreuzstab des
auferstehenden Christus beziehungsweise der gläserne Stab- und Dolchgriff
auf der Wiener Kreuzigung, ähnliche radiale Strahlen der Nimben, sind beiden
Werken gemeinsam. Künstlerische Herkunft, Sitz und Ausdehnung dieser
Werkstatt noch weiter zu untersuchen, wird eine ganz wichtige Aufgabe der
deutschen Kunstgeschichte sein.
1 „Burlington Magazine“ 1908.
120
deutsche und französische Elemente vereinigen, steht dem Konrad Witz weniger
nahe als der Autor des doppelseitig bemalten Flügelbildes der Galerie Cook
in Richmond, „Knieende Magdalena vom Noli me tangere“ innen, eine
gewandete männliche Figur außen, das ich vor Jahren einmal als Werk des
Witz selbst publiziert habe1. Dieses Stück steht dem Künstler tatsächlich so
nahe, daß die Witz-Forschung allen Grund hätte, sich damit ernstlich zu
beschäftigen.
Die der Kunst des Witz vorausgehende Stilstufe war in mehreren aus ver-
schiedenen Teilen Süddeutschlands zusammengetragenen Stücken vertreten.
Ein markantes und geographisch naheliegendes Stück, wie die „Madonna
mit den Erdbeeren“ in Solothurn, fehlte. Der Baseler Ursprung war bei einer
Steinigung des Stephanus und Anbetung der Könige sehr zweifelhaft — ich
möchte zum Vergleich auf ein ganz ähnlich komponiertes Tafelbild des Ste-
phanusmartyriums im Museum zu Klagenfurt (Kärnten) hinweisen —; manchen
schwäbischen Stücken trat ein sehr anmutiges fränkisches, nach W. Stork
dem Berthold von Nördlingen nahestehendes Bild der „Madonna im Rosengarten
mit der heiligen Katharina“ an die Seite.
Ganz wichtig und eine besondere Überraschung der Ausstellung war ein
Kreuzigungsaltar aus dem kantonalen Museum in Frauenfeld (Tafel LIV
und LV). Einer ganz deutschen, kraftvoll schweren Figurendarstellung ver-
bindet sich hier eine höchst eigenartige, durch niederländische Anregungen
geförderte, aber keineswegs bloß nachgeahmte Landschaftsauffassung, die vor
der Kühnheit höchst eigenartiger Beleuchtungseffekte nicht zurückschreckt. Der
Art eines Witz steht dieses vom Katalog vermutlich richtig um 1450 angesetzte
hochbedeutende Werk durchaus selbständig gegenüber. In der Ausstellung selbst
befand sich kein Werk gleicher Richtung, wohl aber bewahrt die Akademie-
galerie in Wien ein Kreuzigungsbild — bei dessen Bestimmung man bisher
ratlos zwischen den Niederlanden und Österreich herumgeirrt ist, ohne einen
festen Anhalt nachweisen zu können —, das vielleicht nicht gerade der
gleichen Künstlerhand, sicher aber genau der gleichen Richtung angehört
(Nr. 555 des Katalogs von 1900). Farbige Haltung, besonders die bräunlich-
graue, flächig angelegte Landschaft mit den lilabräunlich hineingezeichneten
Architekturen, ferner raffinierte Wirkungen, z. B. der gläserne Kreuzstab des
auferstehenden Christus beziehungsweise der gläserne Stab- und Dolchgriff
auf der Wiener Kreuzigung, ähnliche radiale Strahlen der Nimben, sind beiden
Werken gemeinsam. Künstlerische Herkunft, Sitz und Ausdehnung dieser
Werkstatt noch weiter zu untersuchen, wird eine ganz wichtige Aufgabe der
deutschen Kunstgeschichte sein.
1 „Burlington Magazine“ 1908.
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