CONSTANTIN GUYS, EIN CHRONIST DES ZWEITEN
KAISERREICHES IN FRANKREICH
VON F. GILLES DE LA TOURETTE
Ich will der Öffentlichkeit von einem seltsamen Menschen erzählen, dessen Originalität
so stark war, daß sie nicht einmal sich selbst genügte und auch keinen Beifall suchte.
Keine seiner Zeichnungen ist signiert, wenn man die wenigen Buchstaben, die einen
Namen bilden und so leicht nachgeahmt werden können, eine Signatur nennt, und die so
viele andere pomphaft an den Rand ihrer flüchtigsten Skizzen schreiben. Aber seine Werke
alle sind signiert von seiner flammenden Seele. So äußerte sich im November 1863 im
»Figaro« Ch. Baudelaire, der Kritiker und Poet, der die beim Kritiker seltene Gabe —
noch unwahrscheinlicher aber beim Dichter —- besaß: in der bildenden Kunst richtig zu
sehen. »Dieser seltsame Mensch«, über den der Dichter der »Fleurs du mal« seinen Lesern
berichtete, war kein anderer als C. G., der blendendste Chronist der Gesellschaft, dessen
sich die französische Malerei rühmen kann. Doch wird er niemals im großen Publikum,
ja nicht einmal in Frankreich allgemein bekannt werden, da sein Werk nur aus Zeichnungen
besteht, die größtenteils in Privatbesitz oder in den Mappen des Musee Carnavalet in Paris
bewahrt werden. Darum ist es eine Verpflichtung der Kritik, sich in zahlreichen Studien
mit ihm zu beschäftigen. Wir werden uns bemühen, den hohen Wert des Menschen und
des Künstlers zu schildern.
»Ein kleiner Kerl mit energischem Gesicht, grauem Schnurrbart und dem Ausdruck eines
Brummbären, der hinkt und sich fortwährend mit der flachen, trockenen Hand die Ärmel
über die knochigen Arme hinaufschiebt, stets voller Abschweifungen, von Idee zu Idee
springt, abschweifend, gedankenverloren, aber gleich wieder obenauf, fesselt er Ihre Auf-
merksamkeit durch den Vergleich eines Straßenjungen (verstehen Sie, ein Vergleich von
solcher Derbheit, daß er die ungemein vornehme Natur der Autoren dieses Porträts etwas
abstößt!), ein Wort aus der Sprache der deutschen Denker, ein Terminus der Technik, der
Kunst oder der Industrie, aber immer hält er Sie mit der Macht seiner malenden Worte,
die vor Ihren Augen erstehen . . .«
Das ist die Beschreibung, die die Goncourts im Jahre 1 858 von Guys gaben. Er wurde 1802
in Vlissingen in Holland geboren, über seine künstlerische Erziehung oder seinen sonstigen
Bildungsgang wissen wir fast nichts. Er dürfte sehr spät begonnen haben zu zeichnen, erst
gegen 1830 und hat vermutlich keinen Lehrer gehabt. Seine ersten datierten Werke sind
von 1838. Zuerst bereiste er Griechenland, während dort Revolution herrschte, dann
nimmt er Dienst bei den Dragonern, quittiert, reist in den Orient. Häufig hält er sich in
London auf, wo er Korrespondent der »Illustrated London News« wird. Diese Zeitung
sendet ihn in die Krim, um nach dem Leben die Taten der französischen und englischen
Truppen zu schildern. Jeden Abend trug die Post, manchmal mehr als 10 Zeichnungen
nach London mit Notizen von seiner Hand. Nachher irrte er noch ein wenig im Orient
herum und kam endlich nach Paris. Nun zeigte sich etwas Merkwürdiges. An manchen
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KAISERREICHES IN FRANKREICH
VON F. GILLES DE LA TOURETTE
Ich will der Öffentlichkeit von einem seltsamen Menschen erzählen, dessen Originalität
so stark war, daß sie nicht einmal sich selbst genügte und auch keinen Beifall suchte.
Keine seiner Zeichnungen ist signiert, wenn man die wenigen Buchstaben, die einen
Namen bilden und so leicht nachgeahmt werden können, eine Signatur nennt, und die so
viele andere pomphaft an den Rand ihrer flüchtigsten Skizzen schreiben. Aber seine Werke
alle sind signiert von seiner flammenden Seele. So äußerte sich im November 1863 im
»Figaro« Ch. Baudelaire, der Kritiker und Poet, der die beim Kritiker seltene Gabe —
noch unwahrscheinlicher aber beim Dichter —- besaß: in der bildenden Kunst richtig zu
sehen. »Dieser seltsame Mensch«, über den der Dichter der »Fleurs du mal« seinen Lesern
berichtete, war kein anderer als C. G., der blendendste Chronist der Gesellschaft, dessen
sich die französische Malerei rühmen kann. Doch wird er niemals im großen Publikum,
ja nicht einmal in Frankreich allgemein bekannt werden, da sein Werk nur aus Zeichnungen
besteht, die größtenteils in Privatbesitz oder in den Mappen des Musee Carnavalet in Paris
bewahrt werden. Darum ist es eine Verpflichtung der Kritik, sich in zahlreichen Studien
mit ihm zu beschäftigen. Wir werden uns bemühen, den hohen Wert des Menschen und
des Künstlers zu schildern.
»Ein kleiner Kerl mit energischem Gesicht, grauem Schnurrbart und dem Ausdruck eines
Brummbären, der hinkt und sich fortwährend mit der flachen, trockenen Hand die Ärmel
über die knochigen Arme hinaufschiebt, stets voller Abschweifungen, von Idee zu Idee
springt, abschweifend, gedankenverloren, aber gleich wieder obenauf, fesselt er Ihre Auf-
merksamkeit durch den Vergleich eines Straßenjungen (verstehen Sie, ein Vergleich von
solcher Derbheit, daß er die ungemein vornehme Natur der Autoren dieses Porträts etwas
abstößt!), ein Wort aus der Sprache der deutschen Denker, ein Terminus der Technik, der
Kunst oder der Industrie, aber immer hält er Sie mit der Macht seiner malenden Worte,
die vor Ihren Augen erstehen . . .«
Das ist die Beschreibung, die die Goncourts im Jahre 1 858 von Guys gaben. Er wurde 1802
in Vlissingen in Holland geboren, über seine künstlerische Erziehung oder seinen sonstigen
Bildungsgang wissen wir fast nichts. Er dürfte sehr spät begonnen haben zu zeichnen, erst
gegen 1830 und hat vermutlich keinen Lehrer gehabt. Seine ersten datierten Werke sind
von 1838. Zuerst bereiste er Griechenland, während dort Revolution herrschte, dann
nimmt er Dienst bei den Dragonern, quittiert, reist in den Orient. Häufig hält er sich in
London auf, wo er Korrespondent der »Illustrated London News« wird. Diese Zeitung
sendet ihn in die Krim, um nach dem Leben die Taten der französischen und englischen
Truppen zu schildern. Jeden Abend trug die Post, manchmal mehr als 10 Zeichnungen
nach London mit Notizen von seiner Hand. Nachher irrte er noch ein wenig im Orient
herum und kam endlich nach Paris. Nun zeigte sich etwas Merkwürdiges. An manchen
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