DIE SIMSON-GRUPPE DES MICHELANGELO
VON A. E. BRINCKMANN
Über die Pläne Michelangelos für eine große Marmorskulptur, die als Gegenstück zum
David auf der Piazza della Signoria vor dem Palazzo Vecchio in Florenz aufgestellt werden
sollte, sind wir unterrichtet. Thode hat in seinen Kritischen Untersuchungen (Bd. II,
S. 288 ff.) literarisches Quellenmaterial, Zeichnungen und Nachbildungen zusammen-
gestellt. Mit Sicherheit ergibt sich daraus, daß schon 1508 in Carrara für die Skulptur
ein gewaltiger Marmorblock bestellt wurde, der aber erst 1525 unter veränderten Zeit-
umständen in Florenz eintraf. Michelangelo plante zunächst »einen Herkules, derdenKakus
tötet« daraus zu arbeiten. Als jedoch der Block ankam, wurde er auf Wunsch Clemens VII.
dem Bandinelli überwiesen, um Michelangelos Arbeitskraft voll auf die Cappella Medicea
zu konzentrieren. Zwei Modelle Michelangelos für die Kakusgruppe haben sich in der Casa
Buonarroti in Florenz, im Victoria and Albert-Museum in London erhalten und sind von
mir in den Barock-Bozzetti (Bd. I) veröffentlicht worden. Auch den Entwurf Bandinellis,
von Vasari genau beschrieben, habe ich im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin nach weisen
können und ebenfalls veröffentlicht. Vergleicht man die Bozzetti Michelangelos und Bandi-
nellis miteinander auf ihre kubische Masse hin, so ergibt sich eine große Ähnlichkeit; das
Motiv ist nicht unähnlich, nur bei Bandinelli wilder und übertriebener gefaßt. Bandinelli
begann die Arbeit, mußte sie aber, von den Florentinern gezwungen, bald aufgeben.
Am 22. August 1528 beschließen die Signori in Auflehnung gegen den Papst feierlich,
den von Bandinelli schon an der Vorderseite bearbeiteten Block dem Michelangelo zurück-
zugeben, »der aus ihm eine Figur verbunden mit einer anderen machen solle, was und
wie es ihm gut dünke« (Gaye, Carteggio, Bd. II, S. 98). Es ist klar, daß Michelangelo sich
mit seinem Entwurf an die Ausmaße des Blockes zu halten hatte; das teilweise Abbozzieren
durch Bandinelli gestaltete seine Aufgabe noch schwieriger, doch mochte gerade darin ein
besonderer Reiz für einen Meister liegen, der in der genauen Ausfüllung des Blockes durch
seine Idee stets ein bildhauerisches Problem gesehen hat. Der neue Entwurf von 1528
konnte also aus technischen Gründen nicht völlig anders werden. Diese einfache Überlegung
muß einen Irrtum ausmerzen, der sich durch Verbindung einer Stelle in Gambis Chronik
(Gaye, Carteggio, Bd. II, S. 464) mit diesem zweiten Projekt Michelangelos einschlich und
sich durch die ganze Michelangelo-Literatur hindurchzieht. Gambi spricht davon, daß
die Florentiner jetzt hofften, Michelangelo würde ein großes würdiges Werk schaffen, »einen
Herkules, der den Giganten Antäus erdrückt«. Gewiß, auch Vasari berichtet von dem
Modell für eine solche Gruppe, das Michelangelo Leone Leoni schenkte (vergl. Thode).
Eine kleine Skizze Michelangelos auf einem Blatt des British Museum, das seiner andern
auf die Cappella Medicea bezüglichen Darstellungen wegen vor 1525 anzusetzen ist, zeigt
ebenso Herkules und Antäus. Aber diese Gruppe, deren Schwergewicht weit ausladend
in die obere Hälfte verlegt ist, hätte nie in den vorhandenen Block hineingepaßt. Ich
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VON A. E. BRINCKMANN
Über die Pläne Michelangelos für eine große Marmorskulptur, die als Gegenstück zum
David auf der Piazza della Signoria vor dem Palazzo Vecchio in Florenz aufgestellt werden
sollte, sind wir unterrichtet. Thode hat in seinen Kritischen Untersuchungen (Bd. II,
S. 288 ff.) literarisches Quellenmaterial, Zeichnungen und Nachbildungen zusammen-
gestellt. Mit Sicherheit ergibt sich daraus, daß schon 1508 in Carrara für die Skulptur
ein gewaltiger Marmorblock bestellt wurde, der aber erst 1525 unter veränderten Zeit-
umständen in Florenz eintraf. Michelangelo plante zunächst »einen Herkules, derdenKakus
tötet« daraus zu arbeiten. Als jedoch der Block ankam, wurde er auf Wunsch Clemens VII.
dem Bandinelli überwiesen, um Michelangelos Arbeitskraft voll auf die Cappella Medicea
zu konzentrieren. Zwei Modelle Michelangelos für die Kakusgruppe haben sich in der Casa
Buonarroti in Florenz, im Victoria and Albert-Museum in London erhalten und sind von
mir in den Barock-Bozzetti (Bd. I) veröffentlicht worden. Auch den Entwurf Bandinellis,
von Vasari genau beschrieben, habe ich im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin nach weisen
können und ebenfalls veröffentlicht. Vergleicht man die Bozzetti Michelangelos und Bandi-
nellis miteinander auf ihre kubische Masse hin, so ergibt sich eine große Ähnlichkeit; das
Motiv ist nicht unähnlich, nur bei Bandinelli wilder und übertriebener gefaßt. Bandinelli
begann die Arbeit, mußte sie aber, von den Florentinern gezwungen, bald aufgeben.
Am 22. August 1528 beschließen die Signori in Auflehnung gegen den Papst feierlich,
den von Bandinelli schon an der Vorderseite bearbeiteten Block dem Michelangelo zurück-
zugeben, »der aus ihm eine Figur verbunden mit einer anderen machen solle, was und
wie es ihm gut dünke« (Gaye, Carteggio, Bd. II, S. 98). Es ist klar, daß Michelangelo sich
mit seinem Entwurf an die Ausmaße des Blockes zu halten hatte; das teilweise Abbozzieren
durch Bandinelli gestaltete seine Aufgabe noch schwieriger, doch mochte gerade darin ein
besonderer Reiz für einen Meister liegen, der in der genauen Ausfüllung des Blockes durch
seine Idee stets ein bildhauerisches Problem gesehen hat. Der neue Entwurf von 1528
konnte also aus technischen Gründen nicht völlig anders werden. Diese einfache Überlegung
muß einen Irrtum ausmerzen, der sich durch Verbindung einer Stelle in Gambis Chronik
(Gaye, Carteggio, Bd. II, S. 464) mit diesem zweiten Projekt Michelangelos einschlich und
sich durch die ganze Michelangelo-Literatur hindurchzieht. Gambi spricht davon, daß
die Florentiner jetzt hofften, Michelangelo würde ein großes würdiges Werk schaffen, »einen
Herkules, der den Giganten Antäus erdrückt«. Gewiß, auch Vasari berichtet von dem
Modell für eine solche Gruppe, das Michelangelo Leone Leoni schenkte (vergl. Thode).
Eine kleine Skizze Michelangelos auf einem Blatt des British Museum, das seiner andern
auf die Cappella Medicea bezüglichen Darstellungen wegen vor 1525 anzusetzen ist, zeigt
ebenso Herkules und Antäus. Aber diese Gruppe, deren Schwergewicht weit ausladend
in die obere Hälfte verlegt ist, hätte nie in den vorhandenen Block hineingepaßt. Ich
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