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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 11.1927

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Heft 58
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Kieslinger, Franz: Der plastische Schmuck des Westportales bei den Minoriten in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.55197#0173

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DER PLASTISCHE SCHMUCK DES WESTPORTALES BEI DEN
MINORITEN IN WIEN
VON FRANZ KIESLINGER
Der eigentümliche Unstern, der über den gotischen Denkmalen Österreichs haftete, der
ihre größten und empfindlichsten Schädigungen erst in unseren Lebzeiten geschehen ließ,
hat eines der schönsten derselben durch die üble Nachrede, daß überhaupt sein figuraler
Schmuck modern sei, aus dem Interesse der Kunstgeschichte ferngerückt. Die heute beste-
hende Minoritenkirche hat sich schrittweise an die jetzt abgerissene Ludwigskapelle an-
gegliedert, die um 1550 vollendet war. Am altertümlichsten ist nach den Lanzettbogen,
dem Maßwerk und den tief im Innern herablaufenden Rippen der Chorkappen der %-
Schluß des nördlichen Chores. Die Lanzettbogen weisen auf die Zeit um 1330 wie im
Maßwerk des Klosterneuburger Kreuzganges und wir haben die Möglichkeit, die Aus-
führung vor 1339 anzunehmen. In diesem Jahre war Ulrich Pentzo gestorben, von dem
es im alten Gräberverzeichnis heißt, daß er einstmals, also einige Jahre vor dem Jahre 39
eine Stiftung getan hätte, mit der man zuerst den Neubau der Kirche begonnen hatte.
Der nächste Bauteil, den man aber nun in Angriff nahm, war — die Westwand. Der Bau-
fortschritt an dieser erfolgte, wie noch später zu erweisen ist, von Norden nach Süden.
Das große Maßwerkfenster übet dem Hauptportal ist, gemessen an den übrigen Langhaus-
fenstern, relativ altertümlich. Die Maßwerke der Fenster rechts und links daneben sind
modern. Als Widerlager dieser Westwand wurde etwa die Mauer der ersten Travee von
Westen her aufgeführt. Damals schon, also um 1340, mußte ein genauer Gesamtplan fest-
gelegt sein. Vielleicht waren Architekt und Plastiker, wie so oft im Mittelalter, eine Person.
In dieser Doppelrolle sind die Parier in Prag, am Ende des 14. Jahrhunderts Meister Wein-
wurm in Wien, um 1290 der Bildhauer und Architekt von Wimpffen, am Ende des
15. Jahrhunderts Veit Stoß und Erasmus Grasser bezeugt. Trotz der Differenz des Stilfort-
schrittes in Architektur und Plastik sind Mittel- und Südportal eines Entwurfes oder sogar
derselben Hand. Unsere Bauperioden stimmen auch beiläufig mit dem Anwachsen und
Abflauen der Testaments Widmungen für Bauzwecke überein, wie solche gewiß nicht voll-
ständig aus der Niederschrift eines Gräberverzeichnisses vom Ende des 14. Jahrhunderts
abzulesen sind. Die Summe der nachrechenbaren Legate im 14. Jahrhundert beträgt etwas
weniger wie 2000 Pfund Pfennige. Also das Doppelte, was man einst für die Erbauung
der Ludwigskapelle gewidmet hatte. Augenscheinlich sind die Legate der zweiten Periode
in vielen Fällen von den Hofchargen Herzog Albrechts II. unter einem gewissen Druck
von oben zustande gekommen. Die ergiebigsten Jahre sind 1327—1340? etwa 409 Pfunde,
und 1346—1358 etwa 670 Pfunde1.
Die Fenster des nördlichen Seitenschiffes wurden im späten 14. Jahrhundert, die der Süd-
wand gar vor der Mitte des 15. Jahrhunderts vollendet. Soweit dies nicht ihr altes Maß-
werk beweist, ist hiefür die Widmung von 1351, die ausdrücklich zur Fortsetzung des
1 1 Pfund = 1/a Ochse =120 Arbeitstage eines Taglöhners.
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