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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 11.1927

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Heft 57
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Buchbesprechungen
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Grimschitz, Bruno: Bücher zur Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.55197#0158

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BUCHBESPRECHUNGEN

BÜCHER ZUR KUNSTGESCHICHTE DES 19. JAHR-
HUNDERTS
Die Forschung hält bei der Darstellung der
klassizistischen und der romantischen Kunst. Der
breiteste Teil der Publikationen zur Kunstge-
schichte des 19. Jahrhunderts dringt bis zur
zeitlichen Grenze von 1830 oder 1840 vor. Er
arbeitet mit dem Material, das durch fast ein
Jahrhundert distanziert ist. Der Abstand scheint
notwendig, um formgeschichtliche Untersu-
chungen von allgemeiner, über persönlich-sub-
jektive Einstellung hinausreichender Gültigkeit
zu ermöglichen. Wenigstens erweist es Fritz
Herbert Lehrs Buch über die Blütezeit romantischer
Bildkunst in positivstem Sinn1. Das Buch ist
eine Grundlegung. In seiner Mitte steht das
fragmentarische Werk des jugendlich verstorbenen
Malers Franz Pforr. Von ihm aus durchmißt
Lehrs Untersuchung die Weite der romantischen
Welt. Und das Ergebnis ist die erste Festlegung
des unklar gebrauchten und ahnungslos verge-
waltigten Begriffs des Romantischen: eine mit
bewunderungswürdiger Konsequenz erreichte Ein-
engung auf das Formale und eine mit seltener
Klarheit des Blickes durchgeführte Analyse der
reinen Formgrundlagen entdecken und konsti-
tuieren die abstrakte Linie als das Stilmittel der
deutschen Romantik. Die konsequente Logik der
neuen Erkenntnisse formuliert die Bedeutung
Pforrs ganz eindeutig, ganz profiliert umrissen.
Mehr: sie offenbart der Stilkritik der romantischen
Kunst dem Subjektiven entrückte Maß stabe. Sie
hebt die romantische Malerei und Zeichenkunst
ab von dem plastischen Manierismus des Jahr-
hundertbeginnes, von den zwischen plastischer
und abstrakter Linie schwankenden Carstens,
Wächter und Koch. Sie erhellt und korrigiert
die Bedeutung Overbecks — die vor der treibenden
Kraft Fohrs als die schwächere Begabung zurück-
tritt — und Cornelius’ und erweist als Vollender
1 Fritz Herbert Lehr, Die Blütezeit romantischer Bild-
kunst / Franz Pforr, Der Meister des Lukasbundes, Ver-
lag des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität
Marburg an der Lahn 1924. Mit 67 Abbildungen.

und Gipfel romantischer Bildkunst Karl Philipp
Fohr, Franz Pforr und Caspar David Friedrich.
Und sie legt das Ende der Romantik um das
Jahr 1820 fest, mit dem Abklingen des abstrakten
Stils vor dem erstarkenden Realismus des Bieder-
meier. Lehrs kritische Ergebnisse, getragen durch
die umfassendste Kenntnis der dokumentarischen
und künstlerischen Grundlagen, sind von abso-
luter Bedeutung. Sie erheben sich zur Gültigkeit
fundierender Tatsachen für alle künftige For-
schung. Sie, die vielleicht nur in ihren äußersten
Folgerungen über den Bezirk des Malerischen
hinaus zu weit gehen in der Verdichtung allge-
meiner Stilphänomene auf eine Identifikation
von Klassik und Romantik, geben neben den
eindringlichen analytischen Beobachtungen die
erschütternde Tragik des persönlichen Schicksals:
die Berichte über den Tod Pforrs enthüllen mit
der bewegenden Kraft des Gegenwärtigen das
romantische Menschentum in seiner Größe und
Reinheit. So umspannt Lehrs Werk die beiden
Pole: die Verlebendigung einer Epoche, die
durchdrungen bis zur Askese von dem geistigen
Ethos des Schaffens hinter dem Werk stand,
und die Erkenntnis der verwirklichten künst-
lerischen Werte ihres Werkes. Der Erfolg der
Bemühungen Lehrs war nur möglich in der
Begrenzung: durch das Vordringen an einer
Stelle des romantischen Schaffens bis zu seinem
innersten formalen Zentrum. Nicht auf peri-
pherem Weg. Diesen schreitet mit weitestem
Radius Gustav Pauli in dem XIV. Band der
Propyläen-Kunstgeschichte2. Er gibt die Dar-
stellung der Kunst des Klassizismus und der
Romantik: über ein künstlerisches Einzelschicksal
hinaus, von dem Lehr zu Perspektiven auf
Klassizismus und Romantik in der deutschen
Kunst vordringt, Überschau und Zusammenfas-
sung der europäischen Bewegung. Der Versuch
ist mißglückt: in seiner Grundanlage und in
seinen Teilen. Proklamiert der Begriff des Klas-
2 Gustav Pauli, Die Kunst des Klassizismus und der
Romantik. Propyläen-Verlag zu Berlin 1925. Mit 547
Abbildungen und XLV Tafeln.
 
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